Zwischen Iser und Neisse (I)

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geworden war. Sentimentalitäten sind die Besitzenden nicht zugänglich:

 

O seht, Ihr Herr’n in lichtdurchstrahlten Räumen,
Ihr kennt das Elend und die Sorge nicht,
O hört, was hier beim frohen Becherschäumen
Aus diesem Farbenglanz der Prismen spricht;
O könntet Ihr die tiefe Qual empfinden
Des Arbeitsmenschen, seinen Schmerz,
Ihr würdet dann ein Wort des Mitleids finden
Und Balsam träufeln in das wunde Herz.

Über die Höhe des „Örtlpachts“ werden wir noch öfter sprechen. Daran werden wir dann den Grad der Ausbeutung messen können. Für unseren Fall ein Beispiel. Eine Schleiferpartie bekommt um 30 fl. Arbeit. Der Lohn verteilt sich wie folgt: Schärfer und Schneider bekommen je 10 fl. 50 kr., der Polierer erhält 6 fl. und der Meister 3 fl. Die Arbeit ist in zehn Tagen aufgearbeitet. Mithin erhält der Meister für seine drei Stühle per Tag 30 kr. oder für einen 10 kr. Ein Stuhl kostet 50 fl. Der Stuhl ist also in 500 Arbeitstagen abgezahlt. Rechnet man hierzu noch per Jahr 5 fl. Ergänzung der Scheiben und Reparatur, so ergibt sich noch immer für den Meister eine sehr hohe Verzinsung des Kapitals, denn so ein Stuhl hält nicht für 500, sonder für 5000 Arbeitstage und noch mehr Stand. Dennoch wird diese Werkzeugquote allgemein als so gerecht angesehen, daß die Kristalleriekonvention das oben angegebene Ziffernverhältnis bei der Aufteilung des Lohnguldens 35:35:20:10 überall gleichmäßig durchführen will. Heute gibt es noch Werkstätten, in denen die Schärfer und Schneider je 34 kr. und die Polierer 22 kr. vom Lohngulden haben. Die Werkzeugquote ist gleich. Die Abschaffung des Örtlpachts oder Dreherlohns, wie er auch heißt, und Ersetzung durch ein einfacheres und gerechteres Lohnverrechnungsverfahren ist ein Wunsch der organisierten Arbeiter, der auch schon zum Teil Berücksichtigung fand. Zu finden ist dieses System der Ausbeutung noch in Albrechtsdorf, Antoniwald, Josefsthal, Maxdorf (und zwar im Hunerwinkel und in „Amerika“, wie zwei abseits liegende Vororte genannt werden), in Karlsberg und Johannesberg. Der größte Unfug wurde damit bis zur Schließung der Konvention in Morchenstern getrieben. Die Konvention macht Ordnung. Ein Komité pachtete alle Radstühle und verpachtete sie an die einzelnen Unternehmer weiter unter der Bedingung, daß die Unternehmer (Erzeuger, Lieferanten und Exporteure) von den Arbeitern keinen Dreherlohn einheben dürfen. Der Dreherlohn besteht überhaupt nicht in Dessendorf, Polaun, Neuwelt, Grünthal und Wurzelsdorf.

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In Dessendorf, namentlich, der Zentrale für die Kristallbranche, ist Fabriks- und kleingewerblicher Betrieb eingeführt. Dort sind die Arbeitsverhältnisse am besten geregelt. In hygienischer Beziehung lassen die Betriebe allerdings noch viel zu wünschen übrig. Es sind zwar bei den Radstühlen Ventilatoren angebracht, aber der vorhandene Raum ist auch hier viel zu sehr ausgenützt. Der schönste, und zwar ein fabriksmäßiger Betrieb, ist die „Wanzelwurre“ in Antoniwald, ein zwei Stock hoher Bau. Dennoch traf ich auch hier ein kaum der Schule entwachsenes Mädchen, die scheren mußte, ohne daß ihr der Unternehmer die billige Schutzvorrichtung eines Respirators zur Verfügung stellen würde. Der Gewerbeinspektor – eine höchst seltene Erscheinung in den Schleifereien – hat es bisher nicht verlangt, und von selbst wird man doch den Betrieb nicht so belasten!

Die Löhne der Scheibenarbeiter richten sich je nach der Größe und mehr oder weniger sorgfältigen Veredlung des Artikels. Seit Bestehen der Konvention verdient der gewöhnliche Scheibenarbeiter wöchentlich 6 bis 8 fl. Ein Schleifer, der gerade Messerleger in Arbeit hatte, gab mir auf die Frage nach dem Verdienste die urwüchsige Antwort: „An Raup’r (Schiebkarren) voll muß m’r mach’n um an Göld’n!“ Etwas besser sind die Schläglarbeiter oder Hohlschleifer daran, die als qualifizierte, mitunter sogar hochqualifizierte Arbeiter 10 bis 12 fl. verdienen. Die Schläglarbeiter zahlen, da sie feineres und reichhaltigeres Werkzeug zu ihrer Arbeit benötigen, vom Lohngulden 15 bis 20 Perzent als Werkzeugffquote weg. Ein ordentliches Zeug für einen Schläglarbeiter kostet 80 fl. Sie besorgen sich den ganzen Arbeitsprozeß: Schärfen, Schneiden und Polieren, selbst. In der Kristallerie sind nur wenige Schläglarbeiter beschäftigt, die meisten arbeiten in der Flakonindustrie. Die Hohlschleifer sind gelernte Arbeiter. Im Isergebirge besteht zwei bis drei Jahre, gegenwärtig nur zwei bis zweieinhalb Jahre Lehrzeit – aber drüben über der Schneekoppe im „Dunkelthal“, wie ein Teil des Aupatales heißt, wo auch eine größere Schleiferei besteht, ist die Lehrzeit auf fünf Jahre festgesetzt.

Ein besonderes Wort sei noch den Rautenschleifern gewidmet. Sie schleifen fast ausschließlich Glasstöpfel, die für die Flakons bestimmt sind. Ihre Arbeit erfordert besondere Aufmerksamkeit und Geschicklichkeit. Sie arbeiten immer an zwei Stühlen zugleich. Während sie den einen Stöpfel mit einer seiner Flächen an die Scheibe drücken, besichtigen sie die eben geschliffene Fläche des anderen Stöpfels. So wechseln sie fortwährend. Auch das Los dieser Schleifer ist nicht besser als das ihrer Brüder, und sie können mit ihnen das humorvolle Schleiferlied singen, das in der Faschingszeitung 1892: „Der arme Hans“, erschien und seither zum Gemeingut aller Schleifer geworden ist:

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  Oh mir Schleifer, jo mir Schleifer
Laben herrlich of d’r Walt,
Hon kän’Kommer, käne Sorgen,
Doch dö Toschen vuller Gald!
    [: Juchheidiei, Juchheida,
     

Juchheidiei, Juchheida,
Juchheidia, Juchheidiada. : ]

  Exporteure, Lieferanten,
‘s is a Jommer, wie die kloh’n, *)
Oens d’rgegen wachsen Bäuche,
Die m’r bal nä mieh d’rtroh’n!
    [: Juchheidiei u.s.w. : ]
  Wenn m’r täglich vierzehn Stunden
Spaßeshalber schleifen thun,
Krieg’m’r wöchentlich drei Gölden:
Is dos nä a schienes Luhn?
    [: Juchheidiei u.s.w. : ]
  Könn’m’r do nä bummeln, brächen, **)
könn’m’rsch do nä nobel gah’n?
Jo, do könn’m’r wirklich “prassen”,
Jo, do müss’m’r döcke war’n!
    [: Juchheidiei u.s.w. : ]
  Stirbt m’r dann mit dreißig Juhren,
Soh’n dö Loite: Lieber Gout,
‘s wor a Schleifer, dar sich endlich
Mausetudt gesoffen hout!
    [: Juchheidiei u.s.w. : ]
  Oh mir Schleifer, jo mir Schleifer
Laben herrlich of d’r Walt;
hon kän Kommer, käne Sorgen,
Doch dö Toschen vuller Gald!
    [: Juchheidiei u.s.w. : ]
 

 

   
*) klagen
**) saufen
 

Die Flakonindustrie

Wir wollen einmal in anderer Sphäre einen Besuch machen...nicht in der glasstaubdurchseuchten Schleifmühle mit ihrer feuchten Luft und mit ihren staubgrauen Menschen wollen wir Belehrung suchen, sondern wir wollen in dem behaglichen Heim einer Dame von Geschmack Umschau halten, die auch das Geld hat, ihrem Geschmack zu dienen. Die Gnädige ist sehr liebenswürdig als sie hört, daß wir gekommen sind, um ihre Kostbarkeiten zu

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bewundern. Sie führt uns zunächst in den Salon. Blumenduft schlägt uns entegen. Auf Teppichen, in denen der Fuß zu versinken scheint, folgen wir der Dame zu einem neckischen Tischchen aus Bambusgeflecht, auf dessen bemalter Porzellanplatte ein blumenkelchartiges Kristallgefäß von der Höhe eines halben Meters steht. Als Basis dient dem spitz zulaufenden Kelch ein Gebilde aus massivem Silber: ein nackter Frauenleib, auf den Boden hingestreckt, aus dem gleich einer Riesenblüte der Kelch zu wachsen scheint. Die glitzernde Außenfläche des Kelches ist von regelrecht gewundenen Furchen durchzogen, denen stylisiertes Blumenornament entsprießt. Ein Glitzern, Flirren und Glänzen strahlt von den Flächen und Furchen aus, und jetzt, da sich ein Sonnenstrahl durch eine Ritze des Tuchvorhanges stiehlt, funkelt es an einzelnen erhabenen Stellen des gläsernen Wunderwerks, wie wenn es mit Brillanten besetzt wäre. In dem Kelch ist Wasser, die Nahrung für die krausbunten Chrysanthemen, die, langstielig abgeschnitten, den Kelchrand noch um Einiges überragen. Im Speisezimmer geleitet uns unsere Führerin zu der eichenen Kredenz, einem Wunderbau voll Spitzen und Türmchen, dessen Platformen mit all dem gebrechlichen Tafelschmuck besetzt sind. Hier eine Nickelkaraffe und darauf vier Flakons, deren Flächen kreuzartig geschliffen sind. Zwei sind mit gläsernen Stöpfeln verschlossen, die, rautenartig geschliffen, feurig funkeln. Sie dienen für Essig und Öl. Die beiden anderen Flakons entbehren des länglichen Halses. Sie sind mit durchlochten Silberkappen verschlossen, einer breiteren und einer mit geringerem Durchmesser. In diese hat die sorgsame Hausfrau Streuzucker und Salz gefüllt. Auf der Basis des Aufsatzes steht auf runder Holztasse eine Weinkanne mit silbernem Deckel. Auch ihre Bauchflächen tragen ein Ornament mit Kreuz- und Sternmotiven. Das Gegenstück zu der Karaffe ist eine Honigdose, auf deren Deckel eine Arbeitsbiene aus Buntglas kriecht. Da steht noch ein Liqueurservice. Durch die dicke, gleichfalls geschliffene Wand der kegelförmig zulaufenden Flakons schimmert es grün...Unsere Gnädige setzt ihren Gästen zum schwarzen Kaffe offenbar Chartreuse vor. Hier ein kristallener Obstaufsatz auf massiven Silberfüßen, eine Zuckerschale in Halbkugelform, ein Senftiegel, eine Butterdose, deren Deckel als Knauf eine grasende Kuh en miniature trägt...kurz, Wunderwerk um Wunderwerk der Glasschleiferkunst wird uns gezeigt. Die Anerkennung, die wir plichtschuldigst dem auserlesenen Geschmack der Dame zollen, schmeichelt ihr so sehr, daß sie uns auch noch einen Blick in ihr „Allerheiligstes“ gestattet. Da diese Zeilen doch auch ein Schleifer zu Gesicht bekommen könnte, wollen wir nicht seine Begehrlichkeit reizen und nichts von dem Baldachin über dem Bette erzählen, von dem schwerseidene Gardinen niederwallen, nichts von

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den schwelligen...Aber da sind wir ja schon mitten drinnen im Ausplaudern! Nichts davon! Wir sind für Alles blind und sehen nur, was auch ein Schleiferauge sehen darf. Die in eine barocke Eisenumgürtung gesteckte Ampel aus blau durchschimmerndem Mattglas, die in der Mitte des Zimmers hängt, und auf dem marmornen Aufsatz des Waschtisches eine Batterie von Flakons. Kugelrunde Kerlchens mit kurzen Hälsen, in denen funkelnde Brillantstöpfel stecken. Ihr Leib ist mit erhabenen, walzenrunden Wülsten umkränzt, die ineinander aufzugehen scheinen. In die Räume zwischen Wulst und Wulst sind gleichmäßig Strahlenkegel gesetzt, und die Kreisabschnitte zwischen Strahlenkegegel und Wulst sind in Kreuzlagen durchfurcht, so daß Pyramide neben Pyramide steht. Wir wollen auch noch verraten, was diese Kugelflakons in ihrem Inneren bergen. Der eine Kölnisch-Wasser, der andere Rosenöl, der dritte Glyzerin, der vierte wohlriechendes Mundwasser. In der Nähe des einen Fensters steht noch ein Toilettetischchen mit beweglichem Spiegel. Auch darauf gibt es Manches zu sehen. Zunächst ein süßlicher Rokokojunge aus Bronze, der auf seinem Rücken einen zierlichen Korb trägt, aus dem zwei flachgedrückte, ganz kleine Flakons ihre Hälse recken. Auch diese Flakons – Maiglöckchen- und Veilchenduft entströmt ihnen – tragen auf ihren Außenflächen die regelrechten Furchen, die der Schleifer in ihren Leib gegraben. Fände sich doch ein österreichischer Meunier, der anstatt des Rokokojungen aus Bronze einen echten Glasschleifer modellieren würde in seiner saloppen Elendstracht, mit seinem früh gealterten Antlitz, ein Figürchen grau in Grau, auf dem Rücken die „Hocke“ mit der die Kinder das Dürrholz aus dem Walde schleppen...Dann würde die Dame vielleicht durch den Anblick dieses Figürchens gewahr werden, daß alle diese Herrlichkeit, die sie uns bereits gezeigt hat, und die prächtigen Sachen, die sie uns noch zeigt, die Schminkdose, das glitzernde Döschen für das Zahnpulver, der Kristalltiegel mit den „Malrequisieten“, den wir, indiskret genung, selbst entdecken, daß dieser ganze gläserne Zauber von armen, ausgemergelten, hungrigen Menschen um einen Spottlohn geschaffen wurde, der in gar keinem Verhältnis zu dem hohen Anschaffungspreis steht, den die Dame dafür auslegen mußte. Aber sie denkt nicht an die Menschen, die also ihrem luxuriösen Geschmack gedient haben. Sie weiß es nicht, daß alle diese Flakons zuerst bei einer Lufttemperatur von 60 bis 70 Graden als weicher Glasklumpen aus dem glühenden Brand gehoben werde mußten, daß sie dann der Bläser mit seiner Lungen Kraft aufblähte und rundete und formte, sie weiß es nicht, wie sich dann in den Schleifmühlen wahre Künstler um kargsten Lohn bemühten, den Außenflächen prächtiges Ornament einzugraben, und sie weiß nichts von der Qual des Polierers, der abermals im Feuer den Flakons den

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Glanz gibt, an dem sich der Unwissende so freut. Jetzt, da sie uns Alles gezeigt, was unser Auge zu sehen begehrte, sprüht ein sieghafter Blick aus ihren Augen, Stolz flutet von ihr aus – es ist als ob sie sagen wollte: Alles das habe ich gemacht, das ist mein Werk.

Wir sind besiegt. Wir wagen es gar nicht, die Königin in ihrem Reiche einzuladen, mit uns zu gehen, mit uns an die Kamnitz zu wandern und dort mit uns Umschau zu halten nach dem Leben und Treiben der Proletarier, die wirklich die Schöpfer dieser Pracht sind. Und wir wetten, würden wir es tun, dann bekämen wir sicher eine Absage. Also, den Rucksack aufgepackt und allein gewandert! Es ist ein weiter Weg, den wir zu gehen haben. Harrachsdorf, Neuwelt, Wurzelsdorf, Dessendorft, Unter-Mardorf, Josefsthal und Karlsberg sind die Stationen. In diesen Orten sind die Flakonschleifer zu Hause, deren Kunst wir eben bewundert haben.

In den Schleifmühlen

Da wir nun wissen, was die Flakonindustrie hervorbringt, brauchen wir nur noch zu sehen, wie und unter welchen Verhältnissen und Bedingungen sie es erzeugt. Es sind fast ausschließlich Luxusgegenstände, die die Kunst der Flakonschleifer fertigt. Dennoch begegnen wir hier gleich schlimmen Zuständen wie in der Kristallbranche, die vorwiegend Massenartikel für den täglichen Gebrauch veredelt. Wie sie oft in den Werkstätten eins sind, so sind sie auch im Elend eins: die Kristall- und die Flakonschleifer. Die Zahl der Flakonschleifer beläuft sich auf etwa 500. Vor der Krise war sie weit größer. Schundwarenerzeugung hat hier bewirkt, daß der Bedarf zurückging und daß eine ganze Anzahl von Werkstätten aufgelassen wurde. Der Hauptort dieser Industrie ist Josefsthal. Wie dort die Verhältnisse noch im Jahre 1898 lagen, erfahren wir aus einem Bericht des Vertrauensmannes der keramischen Union, Anton Häckel. In diesem heißt es: Hier sind 30 Werkstätten, in denen 518 Arbeiter, und zwar 407 männliche, 86 weibliche und 25 Lehrlinge beschäftigt sind. Gearbeitet wird meistens in Flakons, Vasen und Streuern. Die Löhne dieser Artikel sind seit vier Jahren um vierzig bis fünfzig Perzent gesunken. Es werden massenhaft Schundwaren erzeugt, namentlich von den Herren Franz Stefezius und Anton Zimmermann, die viele Artikel nicht schleifen lassen, sondern gepreßt, das heißt roh, nicht veredelt in die Welt hinausschicken. Dreherlohn wird überall eingehoben. Arbeiter, die ständig bei einem Arbeitgeber beschäftigt sind, zahlen 50 kr. per Woche, freie Arbeiter 70 kr. Diese müssen außerdem noch ein

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Reinigungsgeld für die Werkstätte entrichten und ohne Beisteuer der Unternehmer die Krankenkasse zahlen, so daß ihre allwöchentliche Abgabe 1 fl. beträgt. Nach den Wasserschäden von 1897 erhöhten Anton Zimmermann und der Gablonzer Exporteur Duisberg, der hier arbeiten läßt, den Dreherlohn, so als ob die Sklaven des Schleifstuhls an dem Hochwasser die Schuld getragen hätten. Ganz ohne Schuld, daß solche Zustände möglich sind, sind allerdings die Arbeiter nicht. Anstatt sich zusammenzuschließen, unterbieten sie sich gegenseitig im Preise und dehnen selbst die Arbeitszeit ins Ungeheuerliche aus. Am großen Wasser (an der Kamnitz) wird gegenwärtig elf Stunden in den Flösselschleifereien (an den kleinen Zuflüssen der Kamnitz) 12 bis 13 Stunden gearbeitet. Die Ortsgruppe der keramischen Union, die erst vor Kurzem hier wieder errichtet wurde, wird nur von 18 bis 20 Arbeitern gehalten – alle übrigen 500 haben kein Interesse für ihre Lage. Viele suchen ihr Elend in kleinlichen Vergnügungen zu vergessen, andere suchen Trost im verderblichen Alkoholgenuß. Betriebe wurden hier keine eingestellt, im Gegenteil, die Zahl der Flakonschleifer wurde größer. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß die wenigen Arbeiter, die ihre und ihrer Brüder Lage durch Organisation verbessern wollten, brutal behandelt wurden, um die Organisation zu vernichten. Das größte Verdienst in der Richtung hat sich Herr Stefezius erworben. Er organisierte Lumpenproletarierbanden unter dem Titel: „Die wilden Genossen“, traktierte sie mit Fusel und drang dann mit den also präparierten Banden in die sozialdemokratischen Versammlungen ein, in der Absicht, sie zu sprengen. Dies ist ihm auch einigemal gelungen. Durch diese Fuselfreunde ließ er Verleumdungen gegen die Organisation ausstreuen, und außerdem warf er noch alle Organisierten aus seiner Werkstätte hinaus. Die Firma Karl Riedl stellte ihre Glasmacher vor die Alternative: Austritt aus der Organisation oder Entlassung! Der Glasmacher Josef Fuchs, der sich sein gutes Recht nicht nehmen ließ, wurde tatsächlich entlassen. Auch der wiederholt genannte Exporteur Anton Zimmermann maßregelte drei Arbeiter, weil sie der Organisation angehörten.

„Sanitäre Übelstände sind in Massen vorhanden. Ein Fall möge unseren behördlichen Schutz in dieser Richtung charakterisieren. Der Herr Gewerbeinspektor besuchte bei seiner letzten Inspektionstour eine der schlechtesten Werkstätten in Josefsthal, und zwar die des Hernn Anton Preußler. Er trat aber nur bis an die Türe und drehte sich sofort wieder um, ohne etwas zu beanstanden. Vielleicht hat es ihm zu sehr gestunken in dieser von den Arbeitern

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gefürchteten Höhle, und er hat sich aus Rücksicht auf seine Gesundheit entfernt.“

Soweit der Vertrauensmann, von dessen Gewissenhaftigkeit bei Erhebungen ich mich persönlich überzeugen konnte. Wenngleich nicht überall die Verhältnisse in der Flakonbranche so schlimm waren, wie in Josefsthal, schlimm genug waren sie auch sonst. Sie sind ja heute, trotz der Konvention, in manchen Orten noch nicht viel besser.

Aus den vielen Beispielen, die ich dafür bieten könnte, will ich ein einziges herausgreifen: eine Schleiferei in Mardorf, die als anständiger Betrieb gilt. In den großen, geräumigen Schleifsaal steht Stuhl and Stuhl, im Ganzen sind 30 Arbeiter beschäftigt. Der Raum ist 17 Schritt lang, 12 Schritt breit und nach Augenmaß etwa 4 Meter hoch. Den Schritt zu Ÿ Meter gerechnet, hat der Saal also einen Luftraum von 459 Kubikmeter, oder es entfallen 15.3 Kubikmeter auf den einzelnen Arbeiter. Das Licht wird durch 18 Fenster zugeführt. Durch einen Teil dieser erfolgt auch im Sommer die Zufuhr frischer Luft. Im Winter sieht es mit der Ventilierung freilich schlimm aus, ebenso mit der Beheizung der Werkstätte. Die Schleifer, die nahe bei dem in der Mitte stehenden eisernen Ofen sitzen, leiden unter übermäßiger Hitze, während die weiter sitzenden frieren. Eine gleichmäßige Erwärmung der Luft ist in der Regel erst gegen Abend zu erzeilen. Dann ist aber auch die Luft in der mangelhaft ventilierten Werkstätte schon so schlecht, daß sie die größten Gefahren für die Gesundheit der Schleifer in sich birgt. Glasschleifereien gehören zweifellos zu jenen gefährlichen Betrieben, für die die Hygieniker wegen der dauernden Staubentwicklung eine Erhöhung des Luftkubus um ein Drittel, je nach Bedarf (in dem Falle zum Beispiel, wenn mehrere Sprenger in der Schleiferei arbeiten würden) um das Doppelte fordern. In unserer Schleiferei müßte somit jeder Schleifer einen Luftraum von 20 Kubikmeter haben. Es dürften also in diesem Raum nich 30 Schleifer arbeiten, sondern nur 23, und da müßte durch Anbringung von Ventilatoren die Luft mindestens einmal in der Stunde ausgewechselt werden. Dies wäre im Winter nur bei einem anderen Beheizungssystem möglich und natürlich nur mit Hilfe künstlicher Ventilatoren. Rechnet man dazu noch die Gefahren, die den Schleifern durch ungleichmäßige, hier ungenügende, dort übertriebene Erwärmung der Luft erwachsen, so kommt man zu einer Summe von Gefahren, die einem umsomehr erschauern macht, als wir es hier ja mit einem sogenannten anständigen Betrieb zu tun haben. Wir werden im nächsten Abschnitt, bei den Serviettenarbeitern, eine viel schlimmere Bude kennen lernen, die wir als krassestes Beispiel aus dem Gebirge

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vorführen wollen. Besser als hier ist es nur in ganz vereinzelten Betrieben. Die Gefahr wird nur dadurch vermindert, daß die Schleifer aus dem Nassen arbeiten und daß heute schon in vielen Schleifereien an den Stühlen selbst Staubfänger angebracht sind, die den von der Scheibe wegwirbelnden Staub durch Röhren ins Freie führen. Diese Ventilatoren sind aber noch nicht allgemein eingeführt.

Da wir die Schleiferei betreten, schlägt ohrenbetäubender Lärm an unser Ohr. Das Surren der Transmissionsriemen und das Quietschen des Glases gibt einen schnarrenden, unangenehmen Zusammenklang. An dem zugeschliffenen Rand kleiner feiner Steinscheibchen, die sich an einer wagrechten Spindel rasend schnell drehen, schleifen die Arbeiter die Furchen, Hohlflächen, Arabesken und Ornamente in die Flakons. Jeder Arbeiter hat einen anderen Artikel. Gleich sind sie nur Alle im Lohn, 6 bis 7 fl., höchstens 8 fl. ist der Bruttoverdienst in der Woche! Davon müssen unsere Schleifer noch wegzahlen:

  10 bis 12 Perzent für das Schleifzeug 70 kr.  
  Für den mechanischen Antrieb 63 kr.  
  Für die Reinigung des Arbeitsplatzes 5 kr.  
  Krankengeld 15 kr.  
   
 
 
In Summa also
1 fl. 53 kr.  

Rechnen wir den Durchschnittslohn mit 7 fl., so kommt ein reiner Lohn von 5 fl. 74 kr. heraus. Die Mehrzahl der Schleifer hat aber nur 6 fl. Bruttoverdienst und 4 fl. 50 kr. Nettoverdienst. Wir sehen also, daß die räuberischen Abgaben, die das Pachtsystem von dem Gehilfen fordert, die Summe von 21.4 bis 25 Perzent seines schwer genug verdienten Lohnes ausmachen. Hat ein Schleifer das ganze Jahr über Arbeit, so verdient er bei 6 fl. Lohn brutto 300 fl., davon muß er ein Viertel, also 75 fl., für Örtlpacht und Zeug an den oft millionenreichen Unternehmer zahlen. Bei einer Bruttoeinnahme von 350 fl. zahlt er auch nicht mehr. Ein schlimmeres Ausbeutungsystem hat sich das mächtige Unternehmertum wohl nirgends zurechtgelegt.

Eine Gruppe in dieser Werkstätte arbeitet auch an einem Spezialartikel von Lusterbehang. Wir lernen damit eines der Beispiele des komplizierten Pachtsystems kennen, auf die ich im Kapitel über die Lusterbranche verwiesen habe. Ein kleiner Meister hat in dieser Werkstätte drei Stühle sammt Antrieb gepachtet. Daran arbeiten er, seine Frau und ein Gehilfe. Der Lieferant zahlt ihm für das Tausend 9 fl.

In einer Woche bringen die drei Arbeitskräfte 2 bis 2 œ Tausend fertig, der Meister bekommt also vom Lieferanten 18 bis 22 œ fl.

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Die Verteilung dieser Summe ist kompliziert. Es partizipiert daran außer den drei Arbeitskräften der Eigentümer der Schleifmühle als Vierter. Er hebt Pacht für den Schleifstuhl, das sogenannte „Zeug“, und für den mechanischen Antrieb, das „Örtl“, ein. Den Zeugpacht in Perzenten, in diesem Falle 8 Perzent von der Bruttoeinnahme,

also 1fl. 44 kr. bis 1 fl. 80 kr.
den Örtlpacht per Stuhl 63 kr., mithin 1 fl. 88 kr. bis 1 fl. 88 kr.
 
Der Pacht an den Eigentümer beträg daher 3 fl. 32 kr. bis 3 fl. 68 kr.

Die Reineinnahme der drei Arbeitskräfte beträgt demnach 14 fl. 68 kr. bis 18 fl. 82 kr. in der Woche. Der Löwenanteil fällt davon dem Meister zu. Er zahlt seinen beiden Gehilfen (einen Gehilfen ersetzt hier die Frau) per Tausend einen Lohn von je 1 fl. 80 kr., in der Woche also 3 fl. 60 kr. bis 4 fl. 50 kr. Davon müssen diese noch ihr Krankengeld, 15 kr. in der Woche, selbst zahlen. Dem Meister bleiben somit bei einer Bruttoeinnahme von 22 fl. 50 kr., also bei Fertigstellung von 2 œ Tausend 9 fl. 82 kr. In der Praxis ist das Beispiel nicht so „einfach“, als wir es herausgerechnet haben, um das Reineinkommen verständlich zu zeigen. Es wird noch mehr dadurch kompliziert, daß der Gehilfe den Örtlpacht selbst zahlen muß. Der Meister kommt nur für das Zeug auf. An den Endsummen ändert dies nichts.

Nach den gefundenen Ziffern nimmt der Schleifmühlenbesitzer bei 18 fl. Bruttoeinnahme 18 Perzent für sich in Anspruch und bei 22 fl. 50 kr. nur 16 Perzent. Durch diese Perzentberechnungen gelangen wir zu einem Gesetz: Je geringer die Bruttoeinnahme des Erzeugers ist, desto höher ist relativ seine Abgabe an den Kapitalisten. Früher fanden wir bei 7 fl. Bruttolohn eine Abgabe von 21.4 Perzent und bei 6 fl. Bruttolohn eine solche von 25 Perzent. Der minder geschickte Arbeiter oder der, der einen besonders schlechten Artikel bekommt, ist für diesen Nachteil, der sich ja ohnehin schon in der Bruttolohnsumme ziffermäßig ausdrückt, noch speziell dafür gestraft, daß er bei gleicer mechanischer Kraft nicht mehr produzieren kann. Darin liegt nämlich der natürliche Grund des Gesetzes. Macht Einer viel oder wenig: der mechanische Antrieb der Örtlpacht kosten immer 63 kr. in der Woche. Hätte es noch eines Beweises bedurft, um den Örtlpacht als ein unmoralisches Ausbeutungsystem erscheinen zu lassen – er wäre vollauf erbracht durch das Gesetz, daß er den Schwächeren härter trifft. Darum weg damit!

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...Plötzlich verstummt der schnarrende Chor der Radstühle und Transmissionen. Das Werkl steht. Heller Glockenton schwingt zu den Fenstern herein. Es ist Mittag. Die Schleifer waschen sich, wischen die nassen Hände in den einst blauen Schürzen ab, reinigen ihren Anzug von dem feinen Glasstaub und verschwinden einer nach dem anderen. Einige pfeifen dabei, andere singen vor sich hin, scherzen und lachen...ein lustiges Völklein trotz alledem und alledem. Gläser klirren – einer bringt seine Sachen in Ordnung. „Mahlzeit!“ Die Türe fliegt zum letztenmal ins Schloß. Fliegen summen, aus den hängenden Tröpfen fallen klatschend Tropfen auf die Steine. Mittagsruhe!...Um 1 Uhr geht das Gesurre wieder an. Es währt bis Abends. Am nächsten Morgen setzt es wieder ein, heute und alle Tage rastlos dieselbe eintönig schnarrende Melodie. Ist die Woche der Plage um, dann kommt der große Tag der Sorge. Wie die Summe des Wochenlohns verteilen? Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Es gehört Schleiferhumor dazu, um diese Sorgentage immer und immer wieder zu überwinden. Und ei Sunnt’ch...?

„Ei alle Enden und Ecken
Thun sie da Arepl stecken“

*

Die Hohlschleifer, die eigentlich qualifizierten Flakonschleifer, haben ein besseres Drauskommen, wenngleich ihre Arbeit noch immer mit einem wahren Schundlohn bezahlt wird. Sie sind kunstgewerbliche Arbeiter im strengsten Sinne des Wortes, Menschen mit reicher Erfindungsgabe und ungemein geschickten Händen, die mit der wirbelnden Schleifkugel und dem Flakon besser umzugehen verstehen als Andere mit Papier und Zeichenstift. Der Hohlschleifer skizziert sich das Ornament, das er in die meist gerundeten Außenflächen des Flakons oder der Vase eingraben will, flüchtig mit Kohle auf das Glas. Der besonders geübte verschmäht sogar dieses Hilfsmittel und schleift die tausenderlei Ornamente in das spröde Material, als würde er sie sauber auf Papier zeichnen. Auf den Millimeter genau setzt er die Linie an; ganz fein, ein Strick nur, der sich allmälig vertieft, windet und schlingt, we es der Schleifer haben will. In jder Flakonschleiferei gibt es einige, in vielen durchwegs so hochqualifizierten Arbeiter, die jahraus jahrein immer Neues schaffen, immer neue Schliffornamente ersinnen, ohne dafür irgendwelche spezielle Entschädigungen zu haben. Nicht einmal Musterschutz besteht. Hat ein Schleifer einmal ein neues Muster aus der Hand gegeben, so kann es jeder Andere nachmachen. Der Musterdiebstahl ist im Gebirge in allen Branchen gang und gäbe. Die Löhne der Hohlschleifer betragen 10 bis 12 fl. in der Woche. Dies nicht immer, wie wir gleich später sehen werden.

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Alle haben Lehrzeit hinter sich, die im Isergebirge gegenwärtig zwei bis zweieinhalb Jahre, in Harrachsdorf und in der einen Schleiferei im Dunkelthal aber fünf Jahre beträgt. In diesen beiden Schleifereien sind fast durchwegs Meisterhände tätig, namentlich in Harrachsdorf am Fuße der Schneekoppe, wo die Glashütte des Grafen Harrach steht. In der Hüttenschleiferei und in dem weltberühmten Mustersaal dieser Hütte sah ich wahre Wunderwerke der Glasschleiferkunst, Riesenstücke, die, trotzdem sie ungemein schwer zu behandeln sind, dennoch nicht den geringsten Fehler aufwiesen. Auch die Künstler, die solches schaffen, essen Schleiferbrot.

*

Im Dunkelthal. Zwei tage später stieg ich vom Koppenhaus durch den Riesengrund in das an Naturschönheiten so reiche Aupathal und hielt nach einer erquickenden Morgenwanderung abermals Rast in einer Schleiferei, in der des Herrn Steinbrecher im Dunkelthal. Es ist eine große geräumige Schleiferei, die den 40 Schleifern, darunter acht Meister, genügend Platz bietet. Was dort aber den Arbeitern nicht geboten wird, das ist halbwegs entsprechende Behahlung. Die acht Meister leiden gleichwie die Arbeiter schwer unter dem Druck der Stinbrecher’schen Arbeitsbedingungen. Zwischen Meistern und Gehilfen herrscht noch ein eigentümlich patriarchalisches Verhältnis. Der Meister ist zugleich Kostgeber. Außer der Kost erhält der Gehilfe für 14 Tage 7 fl. Lohn bei unendlicher Arbeitszeit. Für die Kost wird in der Regel 6 fl. angerechnet. Daß Meister und Gehilfen ungenügend ernährt sind, dazu bedarf es keiner Fragen. Wer Augen im Kopfe hat, sieht es diesen schwindsüchtigen Elendsgestalten von Weitem an, daß die Kraft, die sie verbrauchen, nie ersetzt wird. Auch sie könnten des „Schleifers Klagelied“ singen:

 

„Es flieg’n su geschwind die Juhre,
Dar Schleifer soht ei trüben Toun,
D’r Kummer bleichte meine Huhre,
Ich ho vun Lab’n nischt d’rvoun.
Ho keine Arbeit, schwere Sorg’n,
Und meine Jugendzeit vurschwind’t,
D’r Bäcke will kei Brut nich borg’n,
Wenn ich ne Arbeit find’.“

Unterlöhne und Überproduktion haben auch im Dunkelthal zu Zeiten Arbeitslosigkeit im Gefolge. Einige Wenige haben das Experiment gewagt, zu heiraten. Sie kommen in der Regel auf einen Akkordlohn von 14 fl. in 14 Tagen. Manches Prunkgefäß, das wir vorhin in dem Heim der Glasliebhaberin gefunden haben, mag hier von den hungernden Künstlern veredelt worden sein, die dafür kaum einige Kreuzer Lohn bekamen: nicht mehr in Kreuzern

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als der Käufer in „Zehnerln“ geben muß. Will ein Käufer handeln, so bekommt er gewiß zur Antwort: „Was glauben Sie denn? Dieser feine Schliff, was der kostet, diese Mühe!“ ja, die Glasindustriellen wissen den Wert solcher Kunst ganz richtig einzuschätzen – freilich nur den Käufern, nie den Arbeitern gegenüber, gegaukelt wird. Entweder konkurrenzfähig oder arbeitslos! Also Preisdruck. Abgeschnitten von der Außenwelt, ohne Ahnung von den Kämpfen, die ihre Schicksalsgenossen jenseits von Rübezahls Bereich führen, sind namentlich die Glasschleifer im Dunkelthal völlig widerstandslos. Möge auch in ihr Tal bald die Sonne der befreienden Aufklärung dringen.

Bei Feuerpolierern.

Der aus dem Nassen geschliffene Flakon muß, wie wir schon gehört haben, noch eine Prozedur durchmachen, ehe er das glänzende Kleid zeigt. Aus dem Feuer geboren, muß er nochmals ins Feuer. In Antoniwald kehren wir bei einem Feuerpolierer ein. Der erst Eindruck ist ein wenig angenehmer. Wir hatten uns an dem herrlichen Maientag schon ehrlich warm gegangen und waren an manchem kühlen Plätzchen, das einladend zur Rast winkte, vorübergegangen, um dort unsere kurzen Rasten zu absolvieren, wo wir auch etwas zu sehen und zu hören bekommen. Und nun schlägt uns schmerzende Hitze entgegen. Wir sind in einen Glutofen geraten, in dem zwei feuerfeste Menschen im Schweiße ihres Angesichtes arbeiten. Wir sehen einen aufgemauerten Ofen mit zwei Feuerhöhlen. In der zur Linke lodert ein mächtiger Brand. Davor sitzt auf einem Holzstuhl der Polierer. Sein Hilfsarbeiter überwacht die rechte Feuerstelle, die, im Mauerwerk gefangen gehalten, das Vorwärmen besorgen muß. In einem Tongefäß, dem sogenannten Poliertopf, liegen die Flakons und Vasen, die vorerst nicht direkt dem Feuer ausgesetzt werden dürfen. Den angewärmten Flakon hebt der Helfer im einem „Spießl“ aus, legt ihn in den Vorraum der zweite Feueröffnung, hinter dem wie eine Stichflamme ein offener Brand lodert. Es ist der sogenannte „Wolf“. Jetzt tritt der Polierer in Aktion. Mit den beiden „Verlängerungen“ seiner Arme nimmt er den Flakon auf. In der Linken hält er das Hefteisen, auf dessen Spitze ein im Feuer weichgemachter Glasklumpen, der „Nabel“ aufklebt, in der Rechten hat er eine Schürzange. Mit Hilfe dieser dirigiert er geschickt den Flakon so, daß sein Boden an den klebweichen „Nabel“ gedrückt wird. Glas mit Glas verbindet sich bald zu unlösbarer Masse. Hefteisen und Flakon sind nun wie eine Stangenlaterne mit einander verbunden. Der Polierer

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kann den Flakon ohne Gefahr herausheben. Er hält die Stange, dreht sie, und der Hilfsarbeiter staubt nun rasch den heißen Flakon mit einem Asbesttuch ab, daß Funken sprühen. Nun erst ist der Flakon reif für den „Wolf“, der hinter dem Vorraum der Feuerhöhle gelbrot auflodert. Mit der Linken dreht der Polierer den in Feuer gehüllten Flakon an dem Hefteisen, mit der rechten Hand schürt er durch das tiefer liegende Schürloch den Brand. Eine Weile lang...dann schnallt er eine eisenbeschlagene Holzschiene auf seinen rechten Schenkel und hebt den glühenden Flakon darauf. Wieder staubt er ihn mit einem Asbesttuch ab, legt ihn auf eine am Boden liegende Asbestplatte an und schlägt mit dem „Abschlägler“ ganz leicht an die Heftstange. Der leichte Schlag genügt, um den Flakon von dem nun schon etwas ausgekühlten und daher spröden „Nabel“ zu trennen. Mit den „Abschlägeln“ stellt der Polierer den Flakon auf, der jetzt nur noch einen langsamen, sorgfältigen Abkühlungsprozeß durchmachen muß, um als schön polierter, fast übernatürlich glänzender Flakon in den Handel kommen zu können.

Die Feuerpolitur ist für Flakons unleugbar ein technischer Fortschritt – zum ersten berührt das Feuer mit seinen Zungen die feinsten Schleifritzen und Flächen, und dann wird hier in Minuten geleistet, was bei der Holzpolitur Stunden erfordern würde. Ein tüchtiger Feuerpolierer kann die Arbeit von 50 Schleifern bewältigen. Die Arbeit ist, wie wir gesehen haben, eine fürchterliche. Stets einer Hitze von 40 bis 50 Grad ausgesetzt, muß der Polierer schweißtriefend den ganzen lieben Tag auf seinem Sessel sitzen und Flakon um Flakon im Feuer drehen. Im Verhältnis zu den Gefahren der Arbeit und zu der großen Leistung des Polierers ist auch diese Arbeit schlecht gezahlt. Unser Polierer in Antoniwald ist einer der bestgestellten. Er hat drei Gulden im Tag. Der Hilfsarbeiter aber nur 1 fl. 70 kr. im Tag. Die Zahlung der Hilfsarbeiter ist im Allgemeinen eine schlechte. An diesen armen Menschen will das Unternehmertum besonders verdienen. Es ist noch nicht lange her, daß in der Richtung einem großen Unfug gesteuert wurde. Als die Feuerpolitur aufkam, wurde der Helfer durch einen Jungen ersetzt, der kaum der Schule entwachsen wer, und noch heute kann man bei Serviettenringpolieren solche ganz jugendlichen Hilfsarbeiter antreffen. Namentlich dem unentwickelten Organismus bringt Feuerarbeit großen Schaden. Das Gehirn und die Knochen leiden besonders darunter. Dennoch zog und zieht das profitsüchtige Unternehmertum für diese Hilfsarbeit die jugendlichen Kräfte vor, weil diese mit ein (...)

Zwischen Iser und Neisse! 129-36 1900

{Glass-Study.com: Anmerkung: 8 Seiten fehlen (Seite 129-136: Die Serviettenbranche. Wie entsteht ein Serviettenring?, In der Klaar’schen Fabrik, Groß- und Klein-Semering)}

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