Zwischen Iser und Neisse (E)

Zwischen Iser und Neisse! 53 1900

Gablonz

Similisteine, Glasspinnerei, Gürtlerei

Das nordisch rauhe Gablonz, mit seinen Bergen und Hügeln, fast selbst ein Gebirge, beherbergt Tausende fleißiger Menschen. Man braucht nicht lange zu suchen. Jedes Haus bietet ein Bild regen Gewerbefleißes, der oft nicht den Schweiß lohnt. Grelle Kontraste auf Schritt und Tritt! Große Räume in prunkvollen Kaufmannspalästen, vollgepropft mit Waren, die zur Versendung in alle Weltgegenden bestimmt sind – lauter Waren, an denen das Blut der Glasarbeiter klebt; in diesen Räumen gut gekleidete, aber schlecht gezahlte kaufmännische Arbeiter, Packer, Kommis, Schreiber, Buchhalter und „Läufer“, meist junge Menschen, die von ihren Chefs ins Gebirge entsendet werden, um dort mit allen Listen und kaufmännischen Finessen die Produzenten „’rumzukriegen“; im Erdgeschoß Gürtlerwerkstätten; im Hinterhaus kleine, teure, überfüllte Wohnungen, in denen die Frauen neben ihrer häuslichen, auch noch eine hausindustrielle Tätigkeit entfalten. Sie kitten Similisteine in Guttaperchakuchen ein. Das ist eine Vorarbeit für den Similiseur, der die Steinchen dann auf der freigebliebenen Seite mit einer Metallschichte überzieht. Durch den Metallbeleg werden aus den wasserhellen Drucksteinen erst die Gürtlerdiamanten. Eine andere Tätigkeit der Frauen ist die „Fasserei“. Sie fassen diese funkelnden Steinchen für die Gürtler in die Schmuckgegenstände; andere nähen wieder Knöpfe auf Kartons, und nicht allzuselten sitzen die Frauen mit ihrem Manne, oft auch mit ihren Kindern am Werktisch und schaffen fleißig mit, um eine Erhöhung der Einkünfte zu erzielen. In allen diesen Wohn- und Arbeitsräumen hat sich das Elend eingemietet. Es ist ein freudloses, nur der Arbeit gewidmetes Dasein, ohne freundliche Ausblicke in die Zukunft – das diese Menschen in den Hinterhäusern dahinleben. Neben ihnen leben warm und wohlig in behaglichen Familienhäusern die Gablonzer Millionäre, die Besitzer der Exporthäuser, die das Zwischenglied zwischen den Erzeugern der vielen Tausende verschiedener Glasbijouterieartikel und dem Weltmarkte sind, der diese glänzenden, glitzernden, gleißenden Waren stark begehrt.

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Es gibt keinen Kontinent, mit dem Gablonz nicht in Verbindung wäre. Wie ein Spinnennetz laufen die Fäden auseinander und ineinander, die die Exporteure von dem Mittelpunkte Gablonz um die ganze Welt gezogen haben. Die Pariser Modedame behängt ihren Leib ebenso mit Waren der Gablonzer Exporteure wie die Hottentotten, wie die Australneger, wie die Ureinwohner von Sansibar, wie die Töchter Indiens, und die reichen Amerikanerinnen schätzen die ihrem Geschmack angepaßten Glaskurzwaren nicht minder, als es die Haremsdamen tun, oder die schlitzäugigen Chinesinnen, oder der Erforscher unbekannter Weltteile, der sich des gleißenden Glasgolds bedient, um die Freundschaft der Wilden zu erkaufen. Perlen, Arm- und Serviettenringe, Knöpfe und Trauerschmuck, Lusterbehänge, Vasen und Trinkservice, feingeschliffene Flakons, Nippes und Glasposamenterie, Schnallen und Brochen, Stockgriffe und Uhrketten, Hut- und Kravattennadeln, Medaillons und optische Linsen, Gürtel- und Hutbehang – was ist da in den Magazinen der großen Exporthäuser nicht aufgestapelt, in allen Farben, in allen Formen, von der mit freiem Auge kaum wahrnehmbaren Schmelzperle bis zur meterhohen Vase! Und alle diese tausenderlei Artikel, könnten sie die Geschichte ihrer Herstellung erzählen, was wären das für traurige Geschichten! Wie viel Plage und Sorge, wie viele Kunstfertigkeit und erfinderische Gabe, wie viel Enttäuschung und Entbehrung, wie viele Kämpfe und Mühe, wie viel mutlose Verzweiflung und wie viel Tücke und Niedertracht, wie viel Elend, wie viel des großen Elends der arbeitenden Menschheit haben sie doch geschaut! In der von Robert Preußler herausgegebenen Sammlung: „Blätter und Blüten aus dem Gebirge“, die 1891 erschien, ist auch ein Gedicht aufgenommen, in dem ein Glasknopf einem Pariser Modefräulein seine Leidensgeschichte erzählt. In der ungelenken Form dichtet da der schon verstorbene Glasschleifer Hübner traurige Wahrheit:

  Einer von den Knöpfen spricht:
„Liebes Fräulein, unser Leben
War von Rosen nicht umgeben . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
 
  Rauchgeschwärzt war jene Hütte,
Wo man tat die ersten Schritte,
Daß ich in die Form gedrückt
Und das Licht der Welt erblickt.
 
  Doch den Jammer zu beschreiben,
Will ich lieber lassen bleiben,
Denn ich hab`so oft gehört,
Wie mein Drücker war empört.
 
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  Wenn gebadet er im Schweiße,
Angestrengt mit großem, Fleiße,
Fünfzehn Stunden sich bemüht,
Sang er oft ein traurig’ Lied.
 
  Wenn vor Durst er halb verschmachtet,
Seines Ofens Glut verachtet,
Klagt er oft im bitt’ren Ton
Über seinen Arbeitslohn.
 
  Wie ich wurde dann geschliffen,
Habe ich erst recht begriffen,
Wie mein Schleifer Schmerz gefühlt,
Sich im Wasser ihn gekühlt.
 
  Ihm das Blut von Fingern tropfte,
Ängstlich auch das Herz ihm klopfte,
Ob ich recht schliffen sei,
Und die Arbeit fehlerfrei.
 
  Nur die Wahrheit ich berichte:
Blaß war er im Angesichte,
Bang gar oft mit Atemnot,
Und verdiente schwer sein Brot.
 
  Oft hört’ich ihn lamentieren,
Daß die Kinder Hunger spüren,
Daß sein Lohn nicht reiche aus
Und bei ihm die Not zu Haus.
 
  Doch nach langer Arbeit endlich
Wurde mir auch dann verständlich,
Daß ich glänzend, schön und fein
Wie ein blanker Edelstein.
 
  Noch mit anderen Geschwistern
Wurde ich in einem düster’n,
Engen Raume Abends spät
Auf ein Kärtchen aufgenäht.“
 

Nun erzählt der Glasknopf seine Leiden weiter, wie er und seine Brüder nach Amerika bestellt gewesen seien, wie aber der Exporteur, der die billigeren, geschmirgelten Glasknöpfe den geschliffenen vorzog, die Bestellung annuliert, „weil wir gar zu schlecht poliert.“

  „Aber unser Lieferante
Sehr darob in Zorn entbrannte;
Ging nach Gablonz hin sodann,
Bot uns einem Juden an.
 
  So im Zorne gab uns billig
Unser Lieferante willig,
Denn er hatte Not um Geld,
Und wir kamen in die Welt.“
 
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Wohl eine gleich traurige und eine gleich wahre Geschichte könnten auch alle übrigen Artikel erzählen, die von Gablonz in die weite Welt gesandt werden.

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Bei einem Glasspinner.

Abseits von den Hauptverkehrsstraßen treten wir in einem schmalen Gäßchen durch einen schmalen niederen Flur in ein einstöckiges, winkeliges Häuschen und durch eine Tür zur Linken in den Wohn- und Arbeitsraum eines Glasspinners. Auch dieser Raum ist eng, niedrig, angepfropft mit allerlei Haus-, Arbeits- und Küchengerät. Die Luft ist dumpfig. Zur Rechten ist ein geschlossenes Fenster, und vor diesem steht ein viersitziger Blasetisch, wie wir solche, allerdings weniger sauber, bei den tschechischen Lampendrückern kennen gelernt haben. An dem Tisch sitzt ein Mann: der Meister. Das Geschäft geht schlecht, und darum arbeitet er allein. Er dekoriert mit dünn gezogenem Glas Hutnadeln. Die Arbeit geht ihm sehr flink von er Hand. Aus Atlasstengeln (eine Glaskomposition, die das matte, leichte Glas wie Atlas schimmern läßt) zieht er sich zunächst schwache Fäden. Er wärmt einige kleine Klautsche in der Stichflamme vorerst zusammen, drückt die weiche Glasmasse mit einer Zange flach, und dann zieht er dünne, etwa 2 Millimeter breite Streifen von Armspannenlänge aus dem Glase. Er hat schon eine ganze Anzahl solcher Streifen hinter dem Ziegel liegen, auf dem er die Glasstengel anwärmt. Sie haben die verschiedensten Farben. Manche sind auch mehrfarbig. Er hat dann verschiedenfärbiges Glas in einen Streifen zusammengezogen. Außer diesen Streifen hat er Vollstengel aus Kristallglas und verschiedenfärbigem Glas auf seinem Tische liegen, dünn geschlagene Silberplättchen, Bronze- und anderen metallischen Staub, einige Holzformen, die wie Tuschschalen aussehen und eine Schachtel mit Stahlstiften... Mit diesen einfachen Hilfsmitteln schafft er jahraus jahrein Tausende verschiedener Hutnadeln und zierlicher Stockgriffe für Damenschirme. Ein staunenswerter Formenreichtum und ungezählte Farbenzusammenstellungen zeugen davon, daß der Mann künstlerische Erfindungsgabe und Geschmack mit der Geschicklichkeit seiner Hände und Finger zu vereinen weiß.

Wir sehen ihm eine Weile bei der Arbeit zu. Vor unseren Augen entstehen Hutnadeln, die der Stolz der Modedamen und oft der Gegenstand des Neides minder „glücklicher“ Frauen sind. Zunächst dreht er an dem Stahlstift der Hutnadel den Kern an. Zu dem Ende dreht er zuerst mit der Linken einen Milchglasstengel in der Stichflamme. Ist er weich, so steckt er das stumpfe Ende

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der Natel in den Stengel und dreht in der Flamme einen kleinen Glaskern (Klautsch) auf die Nadel, den er in der Form rundet. Zur Dekorierung nimmt er einen grünen Altlasstreifen. In der Hitze ist der Streifen sofort schmiegsam und biegsam, und mit Hilfe geschickter Handbewegungen überspinnt er mit dem Streifen den Kern. Spirallinien, gekräuselte Locken, kühn gewundene Bänder, die Form schief gerollten Papiers, zierliche Blütenkelche entstehen. Das Auge des Zuschauers kann gar nicht so schnell folgen, als der Glasspinner die Kerne dekoriert. Im Handumdrehen hat er den weichen Streifen über den Kern gewunden. Dann kommt noch die Spiegelung. Er tritt in den Balken und die Stichflamme zischt lärmend auf. In dieses Flammensprühen hält er den Nadelkopf. Die lebhafte Hitze bewirkt, daß sich die Ränder der zu Phantasieformen gewundenen Glasstreifen verspiegeln, das heißt, daß sie bei gewissen Farben (zum Beispiel grün) goldigen Glanz annehmen. Andere Nadeln zeigen wieder massive Kristallspiralen als Kopf oder metallische Kugeln, die mit vergoldeten Spitzen besät sind wie die Morgensterne, die furchtbare Waffe mittelalterlicher Kriegskunst, oder sie sind gerippte Kristallkugeln mit metallischer und buntfärbiger Einlage, die das Irisieren der Kugeln bewirkt. Es würde zu weit führen, wollten wir hier alle verschiedenen Formen und Farbenspiele beschreiben. „Ma lernt nie aus; alle Jahr wird anders Zeug gemacht,“ saget der Glasspinner. „Es sind Modesachen.“

Und der Preis für so viel Kunstfertigkeit, Erfindungsgabe und Geschicklichkeit? Er ist ein lächerlich geringer. Für das Gros fein dekorierter Hutnadeln sammt Packung in zwei Kartons zahlt der Exporteur dem Glasspinner 2 fl. 50 kr. Was dieser Preis bedeutet, wollen wir and einem Durchschnittsbeispiel durchrechnen.

Der Glasspinner hat folgende Auslagen:
Stahlstifte per Gros (11 bis 17 kr.) 13 kr.
Glas sammt dem Kern 40 kr.
Kaiseröl (für die Flamme) 10 bis 15 kr. 13 kr.
Aufstecken der Nadeln auf Karten 2 kr.
Karten und zwei Kartons 15 kr.
 
In Summe . . 83 kr.

Mit diesen 83 kr. sind die Spesen natürlich nicht zu Ende. Will der Spinner sofort sein Geld haben – und welcher Spinner könnte auf sein Geld warten – so muß er sich 7 Perzent Abzug gefallen lassen, 5 Perzent Rabatt und 2 Perzent Kasseskonto, so daß er eigentlich nicht 2 fl. 50 kr., wie bedungen, sondern nur 2 fl. 33 kr. ausgezahlt bekommt. Der Spinner, der der

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selbstständige Besitzer der Betriebsmittel ist, hat also für die Abnützung dieser, für die Aufwendung seines Betriebskapitals und für seine Arbeit per Gros Hutnadeln eine Reineinnahme von 1 fl. 50 kr. Ein tüchtiger Spinner kann bei flinker Arbeit in zehn Arbeitsstunden ein Gros fertigbringen. In der Regel arbeiten zwei Spinner Hand in Hand, und sie schaffen dann bei effektiv zehnstündiger Arbeit zwei Gros. Das gäbe für jeden eine Wocheneinnahme von 9 fl. Mit dieser kann der Spinner aber nicht im Durchschnitt rechnen. Ein Tag in der Woche geht in der Regel für die Liefer- und Einfkaufgänge und für das Mustermachen verloren. Der Arbeiter muß fort und fort neue Formen ersinnen, will er konkurrenzfähig bleiben. Dem Exporteur macht dies keine Sorge. Er zahlt nicht einmal die Muster, ja, er fühlt sich nicht einmal verpflichtet, immer dem Arbeiter die Bestellung zu übertragen, auf dessen Muster die Bestellung einlief. Der billigere hat den Vorzug. Das geistige Eigentum des Arbeiters ist gar nicht geschützt. Das Mustermachen ist eine neuerliche, und zwar die empfindlichste Betriebsauslage, die der Spinner hat. Er muß nicht nur das teuer bezahlte Material wegschenken, er muß darauf auch noch Arbeit wenden, manuelle und geistige Arbeit. Die Erhaltung aller übrigen Betriebsmittel und des Betriebskapitals muß er also mit einem durchschnittlichen Wochenverdienst von etwa 7 fl. 50 kr. bis 8 fl. bestreiten. Daß auch der Spinner diesen geringen Verdienst, der für das Leben in der teueren Stadt Gablonz nicht ausreicht, durch Ausdehnung der Arbeitszeit und durch Heranziehung seiner Familie zur Arbeit – das Aufstecken der Nadeln ist Frauen- und Kinderarbeit – zu erhöhen trachtet, dabei aber immer widerstandsloser wird, wird Jeder begreifen.

Im Wiener Modegeschäft kosten diese Nadeln per Stück 10 bis 15 kr., auch 20 kr. Der Exporteur kauf das Stück um etwas mehr als 1 œ kr. Sein und der übrigen Zwischenhände Gewinn beträgt also reichlich 8 bis 18 kr. per Stück, während der erfindungsreiche Arbeiter einen Kreuzer als Lohn für tatsächlich geleistete Arbeit und als Entschädigung für seine Erfindungsgabe und für die Abnützung und den Verbrauch der Betriebsmittel erhält. Wenngleich gerade in diesem Zweige des österreichischen Außenhandels die Wichtigkeit der Zwischenhände zwischen Produzent und Konsument nicht zu verkennen ist, so kann diese nie eine so hohe sein, daß die vermittelnde Tätigkeit acht- bis achtzehnmal so hoch gezahlt wird als die wirklich schaffende Tätigkeit. Die Ursachen dieses Mißverhältnisses sind in der modernen kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu suchen, die das besitzlose Proletariat schutzlos der Kapitalistenklasse ausliefert.

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Hemd- und Manschettenknöpfe

Die Knopfmacherei gehört auch zu den Gablonzer Hinterhausbetrieben. Sie ist noch weniger einträglich als die Bijouteriespinnerei. „Hemd- und Manschettenknöpfe macht Einer nur, wenn er nichts zu tun hat. Leben kann man nicht davon,“ sagt mir ein Graukopf, dem ich bei der Arbeit zusah. „Eher noch draußen im Dorfe – in der teueren Stadt Gablonz ist es nicht möglich, mit der Knopfmacherei auch nur den Hunger zu stillen.“ Je kleiner der Knopf, desto elender ist die Zahlung. Wir wollen uns ein wenig die Preise ansehen, um an einigen Beispielen den Ausspruch des Alten verstehen zu lernen. Bei 11stündiger Arbeitsleistung kommen wir bei den einzelnen Gattungen zu folgenden Löhnen:

GattungPreis per GrosArbeits-
leistung in
11 Stunden
Bruttoein-nahmenAusgaben für
Glas u. Feuerung
Nettolohn
  fl. fl.fl.fl.
Runde Chemisette 3" Boden -.14 9 Gros 1.26 -.50 -.76
Runde Chemisette 3œ " Boden -.17 8 Gros 1.36 -.60 -.76
Runde Chemisette 4" Boden -.22 7 Gros 1.54 -.70 -.84
Halbrunde Chemisette breiter Knopf -.30 7 Gros 2.10 -.85 1.25
Runde Chemisette 4" verspiegelt -.42 5 Gros 2.10 -.85 1.25
Manschettenknopf Alabaster * 3.50 Ÿ Gros 2.63 1.20 1.43
Manschettenknopf, färbig, 9" 4.60 5/8 Gros 2.87 1.09 1.78
* Bei den Manschettenknöpfen ist immer eine ganze Garnitur, das sind 1 Paar Manschettenknöpfe, 1 Kragenknopf mit längerem Hals und 3 Brustknöpfe, verstanden.

Wir finden also den oben angestellten Satz bestätigt: Je kleiner der Knopf, desto elender die Zahlung. Nur die ganz kleinen Knöpfe sind der Massenartikel. Diese werden nämlich von den Wäschehändlern gekauft, um die zum Verkauf vorbereiteten Hemden damit zu adjustieren. In praktische Verwendung genommen, brechen sie sehr leicht. Die anderen haltbaren Knöpfe aber haben nicht nur die Konkurrenz der Metall- und Beinknöpfe zu bestehen, sie sind auch weniger begehrt, weil sie weniger dauerhaft sind. Zwölflinige Knöpfe werden bis zu 8 fl. das Gros gezahlt – dabei könnte der Arbeiter noch leben – aber schon seit vielen Jahren lief keine Bestellung auf so große Knöpfe ein.

Sehen wir uns nun an, wie so ein Hemdknopf entsteht. Der Arbeiter hat immer zwei Stengel im Feuer seiner Lampe, vor der er sitzt. Den ersten drückt er, wenn der Klautsch weich ist, auf den Tisch auf, wodurch sich das Glas abflacht. Er hat den Boden – das ist bei den kleinsten Chemisetteknöpfchen Alles in Allem die Arbeit von kaum einer Minute. Kopf und

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Hals sind massiv. Es gibt aber auch unter den Knöpfen...Hohlköpfe. Diese werden wie die Hohlperle geblasen und dann mit Silber eingezogen. Mit dem Boden werden sie durch Glaskitt verbunden. Sie sind gefälliger für das Auge, aber weniger haltbar. Auch dieser Zweig der Hemdknopfmacherei wird nur als Nebenarbeit betrieben.

Die Gablonzer Gürtlerei

Eine Schilderung der Gablonzer Gürtlerei muß in den Rahmen dieser Arbeit eingefügt werden, um die Bearbeitung einiger Druckhütten- und Schleifereierzeugnisse zeigen zu können. Sie bietet dem Beobachter ein weites, völlig neues Feld. Hier drängt sich in einem Ausdruck so vielgestaltige Arbeit und so vielfaches Erzeugnis zusammen, daß man bei Beginn der Beobachtungen fast verwirrt nach Anknüpfungspunkten sucht. Wo beginnen? Eine bis ins kleinste Detail gehende Teilung der Arbeit erschwert die Beobachtung ungemein. Wohl kein einziges Stück der vielen tausend Muster, die die Gablonzer Gürtlerei Jahr für Jahr den gefräßigen Modedamen vorlegt, ist von einer Hand geschaffen. Dazu die verschiedenen Betriebsarten: Die Estampeure mit ihren kleinen Fabriksbetrieben, die kleingewerblichen Betriebe der Schwarzarbeiter, die sehr häufig auch freie Hausarbeiter mit selbständigem Besitz der Betriebsmittel sind, die kleingewerblichen Similiseure, die hausinsdustrielle Vorrichtarbeit zum Similieren, das Fassen der Steinchen, gleichfalls hausindustrielle Frauenarbeit...das Alles darf man nicht beim Gürtler suchen. Der Gürtlermeister ist eigentlich nur die vermittelnde Hand zwischen dem Arbeiter und Exporteur. Seine produktive Arbeit ist gleich Null.

Es ist eine Hutbroche von länglicher Form. Größe: 6 Zentimeter. Der untere Teil ist ein spitzwinkeliges Dreieck mit eingepreßtem erhabenen Ornament. Auf die Verbindungslinie des auf der Spitze stehenden Dreiecks bauen sich nach rechts und links ausladende Rokokoornamente auf, die durch Gürtlerdiamanten verbunden sind. Der Fassungskessel für den oberen größten Stein hat einen blumenkelchartigen Aufsatz, aus dem eine Perle wächst. Das ganze Stück ist mit 16 Similisteinen (Gürtlerdiamanten) verschiedener Größe besetzt. An der Rückseite ist die Brochennadel angelötet.

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Durch welche Hände muß nun diese Broche laufen, bis sie fertig ist? Da unterscheiden wir zunächst zwei Hauptgruppen: 1. Glasarbeit. 2. Gürtlerarbeit.

Die Glasarbeit zerfällt wieder in zwei Hauptgruppen: Perle und Similisteine. Welchen Weg die Perle macht, werden wir in dem Kapitel über die Perlenbläserei kennen lernen. Die Similisteine werden in den rauchgeschwärzten Druckhütten geboren, die wir in den deutschen Dörfern südlich von Gablonz bereits besucht haben. Sie werden Stück um Stück gedrückt, das hundert Dutzend um 3, 4, 5 kr. Lohn. Der Höchstlohn des Arbeiters beträgt in der Woche 4 fl. 50 kr. bis 5 fl. Dann werden sie in Säcken geschüttelt, um sie von dem brüchigen Rand zu befreien, im Feuer auf Asbestplatten geröstet – poliert – um ihnen annähernd den Glanz geschliffener Steine zu geben, und nun erst wandern sie in Säcken, viele tausend Dutzend beisammen, nach Gablonz zu den Similiseuren. Diese müssen den wasserhellen glänzenden Steinchen durch eine Metallauflage am Boden das funkelnde Aussehen von Brillanten geben. Der Preis similisierter Steine richtet sich nach ihrer Größe. Wir wollen nur ein Beispiel berechnen, um an diesem den Prozeß zu zeigen, den der Stein durchzumachen hat, aber auch um Einblick zu gewinnen in das Leben der Kleingewerblichen Similiseure und der hausindustriellen Kittarbeiterinnen. Für das hundert Dutzend similisierter Steinchen einer Größe, für die der Gürtler in früheren Jahren 16 fl. zahlte, bekommt der Similiseur heute – siebzig Kreuzer. Wahnsinnige Konkurrenz hat diese Arbeit so weit herabgebracht.

Trotzdem nur wenige Similiseure in Gablonz sind, herrscht unter ihnen keine Einigkeit. Einer will den Anderen auffressen, um Monopolist zu werden. Die Folge davon ist der unerhörte Preisrückgang. Auf den Preis von 70 kr., hat der Similiseur folgende Auslagen: Steinchen 20 kr., Kitten 7 kr., Silber 12 kr., Bronze und Lack 2 kr., das sind 41 kr. Hiezu kommt als berechnete Quote für die Werkstätte, die Betriebsmittel (Säuren, Guttaperchakuchen etc.) 6 kr., so daß der Similiseur seine eigene Arbeit um 23 kr. für das hundert Dutzend geben muß. Zunächst müssen die Steinchen auf kreisrunde Guttaperchaplatten eingekittet werden. Das ist eine Frauen- und Kinderarbeit, die das Auge sehr in Anspruch nimmt. Man bedenke, daß diese Sklaven 1200 Stück kleiner, glänzender Steinchen Stück für Stück in den weichen Kuchen einkitten müssen – bis sie 7 kr. verdient haben. Hat der Similiseur Kinder, so müssen sie von Früh bis Abends darüber sitzen, damit der Vater die Auslagen für das Kitten erspare. Dies natürlich in dem einzen Raum, der dem Similiseur und seiner Familie zur Verfügung steht. Dieser Raum ist von giftigen Dämpfen erfüllt,

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denn zu dem kalten chemischen Metallisierungsprozeß, dem die über die Guttaperchaplatte herausragenden Kehrseiten und Steinchen nun unterzogen werden, braucht der Similiseur Schwefelsäure und Salmiak, in dem er das Silber und Bronze löst. Über den offenen Töpfen manipuliert er. Diesen entsteigen die Dämpfe, die sich auf die Lungen legen. Sind die Steinchen mit der Metallschichte bestrichen, dann müssen sie trocknen. Ist auch dies geschehen, dann werden sie wieder aus der Kittplatte gebrochen und lieferfertig gemacht. „Wenn man es geliefert hat,“ sagte mir ein Similiseur, „so muß man sich ärgern um sein Geld.“ Man muß in Schulden kommen, ob m’r will oder nicht. Was a bißl a reeller Mensch is, der kommt bei dötte Preise nie aus – was a Luder is, der kommt durch oder a bringt sich um.“

So weit die vorbereitete Glasarbeit. Wir kommen nun zur Gürtlerarbeit. Das oben beschriebene Stück besteht, genau besehen, aus dem Spitzdreieck, den zwei Rokokoornamenten, zwei größeren Steinfassungskesseln, die die Verbindung herstellen müssen, dem kelchartigen Aufsatz und rückwärts aus der Brochenadel. Das Spitzdreieck ist mit sechs, jedes der beiden Rokokoornamente mit vier Steinchen besetzt. Jedes dieser Steinchen ist in einen Kessel gefaßt, der auf das Stück aufgelötet werden mußte.

Die Hauptstücke zu dieser Broche liefert der Estampeur, der mit Stanzen die Spitzdreiecke schmiedet und das erhabene Ornament aufdruckt, der ebenso die Rokokoseitenteile ausstanzt, der die Kessel erzeugt und den Kelch für die Perle durch den Druck einer Maschine formt.

Wir wollen indeß beim Estampeur nicht verweilen. Stanzerarbeit können wir als bekannt voraussetzen. Alle diese einzelnen Teile – wir zählen im Ganzen sieben Hauptbestandteile und 14 kleine Kessel als Dekorationsteile – wandern zum sogenannten Schwarzarbeiter, der den Rohbau der Broche fertigstellt., das heißt durch Lötung die einzelnen Teile zusammenfügt. Verweilen wir ein wenig bei dem Schwarzarbeiter.

Um die einzelnen Teile zusammenzulöten zu können, muß er sie zunächst auf Asbestplatten auflegen und auf die Lotstelle einen Tropfen der breiigen Lotmischung (Messing und Zink in Borax gelöst) träufeln und dann der trockenen Hitze eines Gasolinofens aussetzen. Komplizierte Stücke, wie das besprochene, muß er so oft „aus dem Feuer machen“ , als er Hauptstücke miteinander verbindet. Der Gasolinofen hat einen großen trichterförmigen Abzug für die schädlichen Dämpfe, die dennoch nicht ganz abzuwehren sind. Die Lötarbeit bleibt immer mit großen Gefahren für die Gesundheit verbunden. Er lötet mit einer beweglichen Stichflamme, die aus einem regulierbaren Schlauch stärker oder schwächer hervorzischt.

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Einfachere Stücke, wie die aus Kesseln zusammengestellten Rosetten braucht er nur einmal zu löten. Das Zusammensetzen der kleinen Kessel zu Rosetten ist eine mühsame Arbeit, die, wie alle Gürtlerarbeit, im Akkord berechnet wird. Der Schwarzarbeiter ist per Lotstelle gezahlt, und zwar erhält er in der Regel per Lotstelle und Gros 10 kr. Die von uns beschriebene Hutnadel hat 18 Lotstellen. Er bekommt also für die Schwarzarbeit sammt dem Biegen der Nadel 1 fl. 80 kr. per Gros, vorausgesetzt, daß er für einen Meister arbeitet, der 10 kr. per Lotstelle zahlt. Es gibt nämlich auch Meister, die 5 und 6 kr. für die Lotstelle zahlen. Dafür muß der Arbeiter noch alle Betriebsmittel beistellen, was eine nicht unbeträgliche Summe ausmacht. Gablonz hat 320 freie Schwarzarbeiter. Von diesen haben etwa 20 halbwegs ihr Auskommen. Einer dieser führte über seine Einnahmen und Betriebsauslagen Buch. Er war das ganze Jahr 1898 hindurch beschäftigt. Nicht einen Tag versäumte er durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Die eigentliche Saison für die Gürtlerarbeit geht von November bis Februar. In der übrigen Zeit werden nicht nur geringere Preise gezahlt, sondern es ist auch die Zeit der Mustermacherei. Die Muster werden nur zur Hälfte gezahlt. Der Exporteur, der von so vielen anderen Artikeln gewohnt ist, für Muster gar nichts zu zahlen und damit noch Preisdrückerei zu betreiben, zahlt den Gürtlern für die Muster nur die halben Preise. Überdies ist es nahezu eine Regel, daß die überwiegende Mehrzahl der Schwarzarbeiter alljährlich ein Vierteljahr ganz feiern muß. Das zitierte Beispiel ist also ein besonders gutes Ausnahmebeispiel. Die Jahreseinnahme unseres Schwarzarbeiters betrug 767fl. 32kr., was einem Bruttowochenlohn von 14fl. 75kr. entspricht.

Von diesem gehen ab:
  Loth fl. -.50
  Borax fl. -.04
  Gasolin fl. -.60
  Licht fl. -.25
  Miete fl. 1.—
  Feuerung fl. -.50
     
    in Summa fl. 2.89

so daß ihm ein wöchentlicher Reinlohn von 11 fl. 86 kr. verbleibt. Das Betriebswerkzeug (Ofen, Arbeitstisch, etc.) für einen Arbeiter repräsentiert einen Wert von 70 fl. So weit der bestgestellte Arbeiter.

Wir lehrten aber auch bei minder gut gestellten Arbeitern ein, bei einem unter Anderen auch, der seine Frau und die

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größeren Kinder mitschuften läßt, darüber befragt, die warmherzige Antwort gibt: „Es tut mir ja sehr leed, aber ich muß.“

In einem Kellerloch, das spärliches Licht von der Gasse empfängt, treffen wir Vater und Mutter am Arbeitstisch. Die Frau sagt: „Da Schwarzarbeiter is geplagt auf alle Seiten. Mit Not daß m’r das Laben durchbringt. Im Sommer is gar nischt – finf, sechs Gilden alle Beede. Nischt zu verdienen is daran.“ Auf dem Herd stehen noch die ungewaschenen Töpfe von Mittag. Aus Knochen eine Suppe, dazu Kartoffel und Leberwurst und Erdäpfel – das war ihr Mittagsmahl. Es kostete: Knochen 3 kr., Leberwurst 8 kr., Fett 2 kr. Und Erdäpfel 6 kr. – zusammen 19 kr., und es war bestimmt für Vater, Mutter und drei Kinder im Alter von 3, 12 und 14 Jahren. „Waren Sie satt?“ – „Na, da sein m’r halt satt“ – sagt die Frau, die Arbeit unterbrechend. „Was kochen Sie sonst?“ – „Erdäpfel in der Schale und Quark dazu – ein Pfund zu 8 kr., oder Erdäpfel und Kaffee.“ – „Wie viel Brot brauchen Sie in der Woche?“ – „Zwei Laib zu 30 kr.“ – „Wie lange arbeiten Sie?“ – „Der Mann von 7 Uhr Früh bis 8, œ 9 Uhr Abends, ich so viel ich außer der Wirtschaft mithelfen kann.“ – „Wie viel bekommen Sie per Lotstelle? – „5, 6 kr. Wir haben auch schon 4 œ für einen Kessel gezahlt bekommen. Das haben wir gemacht, damit wir wenigstens etwas zu leben haben. Es is immer so: Borgen und dann abzahlen.“ Mit einem schweren Seufzer setzt die Frau die Arbeit fort. Wir sehen uns in dem Raum um, der Alles: Wohn-, Koch-, Schlaf- und Arbeitsraum ist. Zwei Betten, eine Wiege, ein eiserner Ofen sind außer dem Arbeitstisch und einigen Stühlen das ganze Mobilar des muffigen, stinkenden Raumes.

Das Gerippe der Broche ist fertig, und wir tragen sie nun zum Gelbgürtler, der das Stück einer chemischen Beize unterzieht, um die rostbraune Außenfläche zu reinigen und mit metallischem Glanz – Gold oder Silber – zu versehen. Zuerst kommt das Stück in die Vorbeize von Schwefelsäure und Wasser, dann wird es in einem Gemenge von Scheidewasser und Salz abgebrannt, dann kommt es in die Fertigbeize (Scheidewasser, Oleum, Salz und Ruß), die es schon blank verläßt. Ein Reinigungsprozeß noch – das Stück passiert zwei Wassertöpfe – und es ist blank. Das Versilbern geht auf warmem Weg. Das Stück wird in ein warmes, sogenanntes „rotes Bad“ auf Zinktstreifen gehängt. Dieses Silberbad ist ein Gemisch von blausaurem Kali, Pottasche, Wasser, Salmiakgeist, Salz und dem in Scheidewasser gelösten Münzsilber. Nun erst kommt das Stück in Sägespäne zum Trocknen.

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Die Arbeit des Gelbgürtlers bringt der Gesundheit aller Gablonzer die größten Gefahren. Das Abfallwasser der Gelbgürtler, namentlich das Scheidewasser, vergiftet die Brunnen, die ein bitterschmeckendes Wasser liefern. In gewissen Teilen der Stadt ist das Wasser für Trinkzwecke nicht zu verwenden. Streckenweise hat es eine grünliche Färbung. Aber nicht nur das Wasser wird verboten, auch manche Wiese in der an Gärten und freien Rasenplätzen reichen Stadt wird verseucht. Eine gründliche Kanalisierung würde der Millionärs- und Proletarierstadt Gablonz dringend nötig sein. Auch die Zuleitung von Wasser aus dem Gebirge dürfte für die Stadt der Millionäre nicht unerschwinglich sein. Daß unter den Gefahren seiner Arbeit in erster Linie der Gelbgürtler leidet, braucht nicht speziell hervorgehoben werden.

Wir haben unser Stück so weit, daß es dekoriert werden kann, und wandern mit dem hell oder matt glänzenden Metallgerippe zur Fasserin. Diese ist wieder eine hausindustrielle Arbeiterin. Für das Steinefassen werden sehr verschiedene Preise gezahlt. Die Fasserinnen sind ganz widerstandslos und daher ganz auf die Anständigkeit der Gürtler angewiesen. Die Regel ist zum Beispiel, daß für das Fassen in vier spitzige Kessel – der Stein muß in den Kessel gelegt und dann müssen die Kesselspitzen umgebogen werden – 30 kr. per 100 Dutzend gezahlt wird. Es gibt aber Gürtler, die, die Not der Arbeiterinnen benützend, nur 15 bis 20 kr. Zahlen. Die geübten Fasserinnen sind im Stande, bei zwölfstündiger effektiver Arbeit 300 Dutzend fertigzubringen. Das hält aber keine lang aus. Sie muß über den Tisch gebeugt sitzen, also eine Körperhaltung einnehmen, die die Atmunsorgane beeinträchtigt, und sie muß ein vorzügliches Auge haben. Fortwährend auf das glitzernde, flimmernde Zeug zu sehen, kaum millimeterbreite Steinchen zu fassen, sie in den Kessel zu setzen und dann die winzigen Kesselspitzen umbiegen – das ist eine Arbeit, die das Auge ungemein hernimmt. Obendrein werden bei längerer Arbeit die Finger wund. In der Regel betreiben daher die Frauen die Fasserei als Nebenarbeit.

Die Fasserin ist noch immer nicht die letzte Hand, durch die das Stück geht. In den kelchartigen Aufsatz muß die Perle eingefügt werden. Sie wird eingekittet. Nun erst ist das Stück fertig. Es haben daran also gearbeitet: der Glasdrücker, der Perlenbläser, der Similiseur, die Kitterin, der Estampeur, die Schwarzgürtler, der Gelbgürtler, die Fasserin und Perlkitterin – es ging durch neun Hände, bis es der repräsentative „Erzeuger“ der Gürtlermeister, endgültig empfängt. Er macht an dem Stück eigentlich nichts, als daß er es auf Karten aufnähen läßt und dann in Kartons einpackt. Von der ganzen übrigen Herstellung wird er nicht

Zwischen Iser und Neisse! 66 1900

belästigt. Er ist nur der Mann mit den Aufträgen und der Lieferant an den Exporteur. Die eigentlich produktive Tätigkeit in der Gürtlerei muß man nicht im Laden des Gürtlers suchen.

Was von dem einen Artikel gilt, ist auch von den übrigen tausend und abertausend Erzeugnissen der Gablonzer Gürtlerei zu sagen, von den Uhrketten, Kravattennadeln, steinbesetzten Kassetten, Gürteln, Agraffen, Schnallen, Ringen, Anhängseln, Schmucksachen, kurz von dem ganzen Jahrmarkts- und Modetand. Enorme Teilung der Arbeit, Frauen- und Kinderarbeit, geringe Löhne, keine oder ungenügende wirtschaftliche Organisation der einzelnen Arbeitsgruppen gegenüber den Unternehmern. Die bleibenden Eindücke sind wening erfreulich – alles Erzeugnisse, bestimmt, Menschen zu erfreuen – und fast durchwegs Erzeuger, die die Freude nur vom Hörensagen kennen.