Der Saarkalender 1923 (Glasindustrie)

„Gedenke, daß du ein Deutscher bist!“

Der Saarkalender

Ein Volksbuch für heimatliche Geschichtsforschung, Kunst, Naturwissenschaft,
für saarländische Literatur, Statistik und Volkshumor

1923

1. Jahrgang

Herausgeber Albert Zühlke Saarbrücken

Druck und Verlag Gebr. Hofer A.-G., Saarbrücken.
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Der Saarkalender 1923

 

©2007 Glass-study.com

Eine Glashütte im Saarrevier im Jahre 1800. Alte Köhl’sche Glashütte bei Quierschied nach einem dem Saarkalender zur Verfügung gestellten Bilde.


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Neue Arbeiterkolonie der Dopelius’schen-Wentzel’schen Glashütten in St. Ingbert. Im Hintergrunde Teile der neuen Hütte

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Der Saarkalender 1923

 

Die Glasindustrie im Saargebiet

Die geschichtliche Entwicklung der Glasindustrie des Saarreviers war bisher nahezu ein Buch mit sieben Siegeln. Gutgläubig wurden Irrtümer jeder Art von Generation zu Generation getragen und gingen schließlich als Tatsachen auch in Schriftwerke über. Bei der hohen Bedeutung dieses Zweiges der Saarindustrie, die vor dem Kriege allein in der Fensterglasproduktion 20-25 Prozent der gesamten deutschen Erzeugung lieferte, blieb es sehr bedauerlich, über den Werdegang des Ganzen nichts zuverlässiges zu wissen. Jetzt hat ein junger Forscher in einem mit unendlicher Geduld betriebenen Studium volle Klarheit auf diesem Gebiete geschaffen. Durch liebenswürdiges Entgegenkommen ist zu meiner Freude als erster der Saarkalender in der glücklichen Lage, die Oeffentlichkeit von den interessanten Ergebnissen jener wissenschaftlichen Forschung zu unterrichten.

A.Z.

Durch den Friedensvertrag von Versailles sind die deutschen Grenzgebiete in den Vordergrund des allgemeinen Interesses gerückt. Dies gilt ganz besonders von dem Saargebiet, das durch obigen Vertrag auf fünfzehn Jahre von seinem Mutterland losgerissen und dem Völkerbund zur Verwaltung übergeben worden ist. Durch die Eingliederung des Saargebietes in das französische Zollsystem steht besonders die Industrie dieser Gegend vor einer schwierigen Lage, da sie gezwungen ist, sich so gut wie möglich in das französische Wirtschaftssystem einzugliedern. Wenn nun von der Industrie des Saargebietes gesprochen wird, denkt man meistens an den Kohlenbergbau und an die Eisenindustrie. Nur wenigen ist die geschichtliche Entwicklung und die heutige Bedeutung der Glasindustrie des Saareviers bekannt. Mit diesem Industriezweig etwas näher bekannt zu werden, sei der Zweck der folgenden Zeilen.

Die Glasindustrie des Saargebietes ist lothrinischen Ursprungs, woselbst schon im 15. Jahrhundert Glashütten bestanden. Im Jahre 1616 erhielt der lothrinaische Gentil-homme-verrier (Glasadlige) Jacque Titry und seine Frau Jeanne, geb. de Condé die Erlaubnis, auf dem Bann von Ludweiler eine Glashütte zu erbauen. Zehn Jahre später wurde sie durch Daniel von Condé nach dem heutigen Ort Wilhelmsbrunn verlegt. Sie stellte Bierglas, Kelche usw. her. Die Hütte ging schon im Laufe des 30jährigen Krieges ein. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (um 1660) wurde die Klarenthaler Glashütte vom Grafen Gustav Adolf von Nassau-Saarbrücken gegründet, die aber schon 1723 einging. Unter den ersten Glasmachern dieser Hütte begegnen uns unter anderem schon die Namen Huber, Reppert, Kramer usw., die wir später auf anderen Hütten wiederfinden. Zu gleicher Zeit bestand auch in Werbeln eine Glashütte, die aber schon 1705 abgebrannt sein soll. Zwei Jahre später wurde von den Gebr. Stenger und einigen anderen eine Glashütte an der Lauterbach errichtet. Wahrscheinlich ging sie um 1770 wieder ein. Nicht weit von der Lauterbach gründeten 1717 Georg Wentzel, Peter Kauffelt und Valentin Strauß im Warndtwald bei St. Nicolas eine Spiegelglashütte, aus der der Ort Karlsbrunn entstand. Im Jahre 1723 ging diese Hütte an die Gebr. Georg und Adam Reppert und Martin Kramer von der stillgelegten Klarenthaler Glashütte über. In den ersten Jahren der französischen Revolution kam sie zu Stilliegen.

Die bis jetzt genannten Glashütten liegen alle auf dem linken Ufer der Saar, in dem Warndtwalde, der das Brennmaterial zu dem Betrieb der Glashütten lieferte. Eine ander Gruppe von Glashütten lag auf dem rechten Ufer der Saar, im Sulzbachtal, in und bei Friedrichsthal {Glass-Study.com: http://www.saarlandbilder.de/orte/friedrichsthal/glashuette.htm }. Im letztgenannten Ort haben im Jahre 1723 auf Veranlassung des Grafen von Nassau-Saarbrücken die Gebr. Gerhard und Martin Wentzel und Adolf Eberhard eine Glashütte errichtet. Die Gründung dieser Hütte ist von besonderer Bedeutung, da die Hütte sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Sie entstand zu der Zeit, als der Merkanitlismus noch in Blüte stand, d.h. jene wirtschaftspolititsche Zeit, in der der Staat mit allen möglichen Mitteln Handel und Industrie zu fördern suchte. Auch die Friedrichsthaler Glashütte erhielt eine Reihe von Privilegien (Land-, Holz-, Kohlen- und Steuerpriviligien), die zum Teil erst Ende des 18. Jahrhunderts abgelöst wurden. Was gerade das Landprivileg anlangt, so hat Dr. Lauer in seinem Buch über: „Die Glasindustrie im Saargebiet“ {Glass-Study.com: http://www.friedrichsthal.de/p/d1.asp?artikel_id=1259&liste=&tmpl_typ=Detail; } eine bedeutsame Feststellung gemacht. Wenn man noch vor einigen Jahrzehnten den Lageplan der Gemeinde Friedrichsthal ansah, so mußte man etwas stutzig werden, weil fast der ganze Bann im Besitz der Glasfabrikanten Wentzel, Reppert und Schmidthorn war. Aus den Reihen der Einwohner, hört man nicht selten die Behauptung „in der französischen Revolution angeeignet!“, von seiten einiger Fabrikanten

 

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„von Napoleon geschenkt!“. Wie steht es nun in Wirklichkeit damit? Auf Grund der einwandfreien Lauerschen Feststellung haben die Gründer der Friedrichsthaler Glashütte von dem Grafen von Saarbrücken rund 200 Morgen Land zur Bebauung bekommen, das laut Urkunde vom 17. April 1723 und 25. Februar 1732 nach Ablauf von dreißig Jahren gegen geringe jährliche Abgaben in Er- und Eigentum der Gebr. Wentzel usw. überging. Außerdem haben die ehemaligen Glasfabrikanten noch zur Fürstlich Nassau-Saarbrückischen Zeit Ländereien anzukaufen gesucht, worüber viele Kaufakte in Händen der Fabrikanten sind. Die Glashütte selbst war, wie aus den Bestandsurkunden von 1723, 1747, und 1750 hervorgeht, aus eigenen Mitteln der „Beständer“ erbaut worden und war also nicht Eigentum der Fürsten, wie gelegentlich behauptet wird. Schon sechs Jahre nach ihrer Gründung wurde die Friedrichsthaler Glashütte vorübergehend stillgelegt, und die Glasmacher auf die Kohlglashütte auf der Fischbach (heutige Rußhütte) verwiesen. Da die Glashüttenbeständer Wentzel usw. sich nicht dauernd von ihrem Erbstandsgut in Friedrichsthal trennen wollten, so erreichten sie schließlich vom Fürsten Heinrich von Nassau-Saarbrücken, daß sie dortselbst 1747 wieder ihren Glashüttenbetrieb eröffnen durften, zu welchem Zwecke ihnen weitgehende Privilegien erteilt wurden (Vergl. Dr. Lauer a.a. O.S. 40 flgd.) Im benachbarten Merchweiler bestand schon seit etwa 1700 eine Glashütte, die 1805 an Leonhard Reppert und Georg Högel überging. Auch in Quierschied bestand seit 1779 eine Glashütte, die drei Jahre nach ihrer Gründung von den Gebr. Höhl angekauft wurde. Etwa gleichaltrig mit dieser Hütte ist die ehemalige Glashütte von Schaum, Herb & Co. zu Schnappach, die anfänglich von den Gebr. Köhl, Leonhard Reppert und Philipp Heinrich Eberhard betrieben wurde, später aber in den Besitz von A. Wagner überging. In demselben Orte errichtete Karl Philipp Vopelius {Glass-Study.com: http://www.stadtwerke-sulzbach.de/vopeliusbad/Broschuere_Vopelius.pdf } im Jahre 1810 eine Glashütte, aus der 1857 die Firma Chevandier & Vopelius entstand. Drie Jahre später (1813) kam die Fenner Glashütte auf {Glass-Study.com: http://www.saarlandbilder.de/orte/voelklingen/fenne/glashuette.html }, die später Jahrzehnte lang im Besitz der Familie Raspiller war, der auch die benachbarte Schönecker Glashütte gehörte, die als die einzige von den vielen benachbarten lothringischen Glashütten die Stürme der französchischen Revolution überlebte. Auf dem preußischen Gebiet des Saarreviers waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Hütten zu Friedrichsthal, Quierschied, Merchweiler, Bersweiler und Fenne in Betrieb; auf pfälzischem Gebiet die Mariannenthaler Glashütte und die Schnappacher Hütte von Karl Philipp Vopelius.

Nachdem 1815 das Saargebiet nach der vorübergehend französischen Besetzung Preußen einverleibt worden war, beginnt die Glasindustrie sich allmählich wieder zu heben. In den Jahren 1825-30 enstanden eine ganze Reihe neuer Glashütten und Oefen, so zu Friedrichsthal, Quierschied, Neunkirchen, Fenne, Gersweiler {Glass-Study.com: http://www.saarlandbilder.de/orte/saarbruecken/gersweiler/index.htm } und Forbach. Auch bei Luisenthal am Lumpenberg wurde eine neue Hütte von Louis Vopelius errichtet, die in späteren Jahren an A. Wagner überging. Sodann entstand 1842 die Kristallglashütte von Villeroy & Boch in Wadgassen. Einen noch stärkeren Aufschwung erlebte die Glasindustrie in den 1850 Jahren als die Eisenbahn gebaut wurde und somit sowohle der Rohstoffbezug als auch die Absatzverhältnisse sich von Grund auf ungestalteten. Infolge der veränderten Verkehrs- und Absatzverhältnisse kamen in der Folgezeit eine Reihe älterer abgelegener Hütten zum Erliegen, wohingegen wieder einige andere neu entstanden. So wurden 1857 in Luisenthal von A. Wagner eine neue Hütte, 1858 von Chevandier & Vopelius, eine neue Hütte auf dem Sulzbacher Banne an der Schnappacher Grenze und 1865 von Ed. Vopelius eine solche am Bahnhof Sulzbach gebaut. Mehrere neue Hütten entstanden in der sogenannten Gründerzeit, kurz nach dem Kriege 1870. Das Anwachsen der Glasindustrie wird am deutlichsten, wenn man die Zahl der Arbeiter in den verschiedenen Perioden vergleicht.

Um 1830 wurden rund 200
1840 ” ” 415
1855 ” ” 770
1865 ” ” 1150
1880 ” ” 2500

Arbeiter beschäftigt. Die Produktion belief sich in den 1880er Jahren auf rund zwei Millionen Quadratmeter Tafelglas, 250 000 Zentner Flaschen und Säureballons und etwa 25 000 Zentner Kristallglas. Die 1880er Jahre sind für die Glasindustrie von ganz besonderer Bedeutung. In jenen Jahren kamen grundlegende technische Neuerungen zur Einführung, die manches Unternehmen in eine kritische Lage versetzten.

Bis 1870 waren in der Feuerungstechnik keine wesentlichen Fortschritte zu verzeichnen. Um 1870 wurden die alten „Windöfen“ durch die sogenannten Boetiusöfen ersetzt, die jedoch schon 1872 dem ersten Siemenschen Gas-Regenerationsofen weichen mußten. In den 1880er Jahren ist man nun von den „Hafenöfen“ abgekommen und zum kontinuierlichen „Wannensystem“ übergegangen.

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Was nun diese Arbeitstechnik anlangt, so liegt hier die Schwierigkeit darin, die Lungenarbeit durch maschinelles Blasen zu ersetzen. In der Flaschenindustrie wird zum Teil schon seit vor dem Kriege Preßluft zu Hilfe genommen. In der Tafelglasindustrie werden zurzeit in der ehemaligen Hütte von Eduard Vopelius zu Sulzbach von der „Saar-Tafelglass-Gesellschaft“ Versuche gemacht, das Tafelglas nach belgischen Fourcault-Verfahren herzustellen. Auch die Glasindustrie konnte sich dem modernen Zug der neuen Entwicklung nicht verschließen und hat sich mehr und mehr zusammengeschlossen. In der Flaschenindustrie haben sich die Aktienglashütten St. Ingbert und die Hütte von Wagner & Korn zu Luisenthal vereinigt.

Die ganze Tafelglasindustrie ist in zwei Hütten vereinigt. Die 1892 gegründete Lautzenthal-Glashütte bei St. Ingbert hat 1916 die Mariannenthaler Glashütte aufgekauft und kurz darauf stillgelegt. Kurz vor dem Kriege haben sich ferner die Köhlsche Hütte in Quierschied, die Hütte von Chevandier & Vopelius zu Sulzbach-Schnappach, die Hütte Ed. Vopelius, die alte Schmidthornsche Hütte zu Friedrichsthal und die Hütte von H. L. Wentzel dortselbst in den „Vereinigten Vopeliusschen und Wentzelschen Glashütten“ mit dem Sitz in Sulzbach vereinigt und haben ihre Hütten stillgelegt und dafür in St. Ingbert eine neue, moderne, mit allen technischen Neuerungen ausgestattete Hütte gebaut, die an Größe und Vollkommenheit wohl von keiner anderen deutschen Tafelglashütte übertroffen wird {Glass-Study.com: http://www.saarlandbilder.de/orte/st-ingbert/glashuette.htm}. Die Wanne allein ist 27 Meter lang und liefert über 200 000 Quadratmeter Tafelglas pro Monat.Gegenwärtig besteht die Saarglasindustrie aus drei Flaschenglashütten, zwei Weißhohl- und Kristallglashütten und zwei Fensterglashütten. Die Produktion beläuft sich auf rund drei Millionen Quadratemeter Fensterglas, 12 Millionen Kilogramm Flaschen und 2 500 000 Kilogramm Weißhohlglas.

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