Zwischen Iser und Neisse (D)

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Zwischen Iser und Neisse! 41-48 1900

{Glass-Study.com: 8 Seiten fehlen 41-48 Kapitel: Die Kitt- und Lötsteinchendrückerei, Ein Glasarbeitertanz, Bei einem Knopfdrücker, In den Druckhütten – erster Teil}

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der „Sozialen Praxis“ 1899 Nr. 26: „ Die Zahl der Lieferanten der Besatzsteinindustrie beträgt in der Druckbranche 50, in der Lampenbranche 34. Diese 84 Lieferanten könnten sich gewiß weit eher über die Einhaltung der Konventionsbestimmungen einigen als 3000 kleingewerbliche und hausindustrielle Arbeiter. Auch den Exporteuren, die doch als Kaufleute wissen müssen, daß man gleichzeitig auf Kosten der Industrie sündigt, wenn man den Arbeitern das letzte nimmt, hätten wir soviel Kurzsichtigkeit und Egoismus nicht zugetraut. Sie Alle sägen den Ast ab, auf dem sie sitzen.“

Die Einzigen, die an den Vereinbarungen festhielten und heute noch festhalten, so weit es ausschließlich auf sie ankommt, sind die Arbeiter. Sie halten, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, die reduzierte Arbeitszeit von elf Stunden nicht nur ein, sondern sie willigen auch in eine Reduzierung des Betriebes, um nicht neuerlich durch Überproduktion dem übersättigten Markt zum Preisdrücken Gelegenheit zu geben. In den wenigsten Hütten wird die ganze Woche über gearbeitet. Die Meisten arbeiten nur drei bis vier, höchstens fünf Tage in der Woche, mit so großen persönlichen Opfern dies zumeist auch für den Einzelnen verbunden ist. So traf ich in einer der wenigen größeren Hütten drei verheiratete Arbeiter, deren jeder für eine Kinderschaar zu sorgen hat: der eine für vier, der zweite für sieben (im Alter von Ÿ bis zu 12 Jahren), der dritte gar für zehn (im Alter von Ÿ bis zu 18 Jahren). Diesem dritten Arbeiter sind sechs Kinder gestorben, darum hat er gegenwärtig „nur“ zehn. Für die drei ältesten sorgt er nicht mehr. Der Wochenverdienst eines jeden dieser Arbeiter beträgt 4 fl. bis 4 fl. 50 kr. Davon zahlt jeder per Woche für die Arbeitsstelle 25 kr. und an Wohnungszins 90 kr., es bleiben ihm also 2 fl. 85 kr. bis 3 fl. 35 kr. reiner Arbeitslohn. Wie davon sechs bis neuen Personen eine Woche lang leben können, haben wir in der Schilderung des Lebens der Lampendrücker gezeigt.

Kartoffeln in der Früh’,
Des Mittags in der Brüh’,
Des Abends mitsammt dem Kleid,
Kartoffeln in alle Ewigkeit

Das ist ihr abwechslungsreicher Speisezettel. Der eine Arbeiter vergönnt sich und seiner Familie dreimal im Jahre ein halbes Kilo Siedefleisch, der andere alle vier bis acht Wochen einmal ein Kilo Pferdefleisch im Preis von 36 kr. Sonst gibt’s Erdäpfel und Buttermilch, und zur Arbeit wird „ a Menge Wasser gesoffen.“ Die Kinder gehen im Sommer in den Busch Holz stehlen. Jagt sie der Heger bei der einen Seite hinaus, so gehen sie von der andren Seite wieder hinein.

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Im Nachfolgenden wollen wir uns die Löhne und Verdienste der Glasdrücker bei den verschiedenen Artikeln ansehen. Die Drücker stehen zum Besitzer der Hütte zumeist in keinem eigentlichen Arbeitsverhältnis. Sie pachten in den meisten Fällen nur den Arbeitsplatz, wofür sie je nach Vereinbarung 25 bis 50 kr. in der Woche zahlen. Dazu kommt noch die Feuerung, die gewöhnlich mit 50 kr. per Arbeitstag bemessen wird, und sehr häufig ist ihr Verhältnis zu ihren Auftragsgebern (Lieferanten und Exporteuren) ein solches, daß sie auch das Glas und Alles, was sonst zur Fertigstellung des Artikels gehört, kaufen müssen. Das ist namentlich überall dort der Fall, wo der eine Arbeiter den Artikel in der Hauptsache fertigstellt und wo es nicht der Zusammenarbeit mehrerer bedarf. Die Besatzsteine sind alle derart entlohnt. Druckperlen und andere Artikel, die im Feuer poliert werden, hat gewöhnlich der Meister mit dem Lieferanten in Berrechnung, er verrechnet wieder mit den Arbeitern, kauft das Glas ein, besorgt das Feuerpolieren und die Lieferung.

Die nachfolgende Zusammenfassung soll uns die gegenwärtig durchschnittlichen Wochenverdienste der Drücker bei den verschiedenen Artikeln vor Augen führen. Wir werden hiebei auch das Tagesquantum bei elfstündiger Arbeitszeit und die Zahl der Arbeitstage in der Woche berücksichtigen. Die beigefügten Preise gelten durchwegs für ein „Hundert“, das sind 100 Dutzend, und sie sind so angesetzt, daß von ihnen bereits die Auslagen für die Feuerstelle (Miete und Feuerung), sowie bei den „freien“ Arbeitern die sonstigen Ausgaben für Rohmaterial etc. abgerechnet sind.

ArtikelTagesquantumArbeitstageWochen-
verdienst
Rosalinperle 20 h. à 6 kr. 3-4œ 4 fl. 20 kr.
Schwarze Besatzsteine Nr. 4 20 h. à 3 kr. 2œ -3 1 fl. 70 kr.
Nr. 8 8-9 h. à 8 kr. 3-4 2 fl. 40 kr.
Gelbe Flüssel 20-22 h. à 3 kr. 3-4 2 fl. 20 kr.
2 gelbe Flüssel 45-50 h. à 1.8 kr. 5 4 fl. — kr.
3 Seitenflüssel 25 h. à 2.5 kr. 6 3 fl. 75 kr.
6 Milimeter-Scheiten 14-15 h. à 6 kr. 3-4 2 fl. 25 kr.
Massive Farbendruckperlen 17-20 h. à 5 kr. 3œ-4 3 fl. 50 kr.
3 œ Olive 20 h. à 4.5 kr. 3-4œ 4 fl. — kr.
Gürteldiamanten Nr. 23 (Similisteine) 20 h. à 3.8 kr. 6 4 fl. 50 kr.

Die zehn Beispiele geben wohl nicht ein vollständiges Bild der Entlohnung der Drücker, aber ein annähernd richtiges. Sie betreffen nicht nur verschiedene Artikel, sondern sie sind auch aus den verschiedenen Ortschaften gewählt. Sie enthalten nicht die Preisansätze eines einzelnen, sondern von verschiedenen Lieferanten, und sie sind, wie schon oben erwähnt, so gewählt, daß auch die verschiedenen Formen der Reinlohnberechnung berücksichtigt sind.

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Die Lohnangaben wurden durchwegs unter Kontrolle eines Vertrauensmannes der Organisation gemacht, es wurde Schwarzmalerei ebenso wie Schönfärberei vermieden – sie können also tatsächlich als ein richtiges Bild der Lohnverhältnisse im Druckhüttenlande gelten. Wir finden demnach bei einer durchschnittlichen reduzierten Arbeitsleistung von vier Tagen einen durchschnittlichen Wochenlohn von 3 fl. 25 kr., und dieser wird nur dank der eisernen Selbstzucht, die die organisierten Drücker üben, gehalten.

Da es aber trotz alledem nicht ausreicht, so muß auch der kleingewerbliche Besatzsteinarbeiter seine Frau und seine Kinder zur Arbeit heranziehen. Sie tragen durch Verrichtung der Anreiharbeit auch ihr blutig erworbenes Schärflein zur Bestreitung der notwendigsten Ausgaben für den Haushalt bei. Wie bei den tschechischen Lampendrückern haben auch die Kinder des deutschen Vorlandes kein Recht auf Jugend – es wird verdrängt von der Pflicht, zu erwerben. Wie den Arbeitern, so geht es auch den Kleinmeistern, den kleinen Besitzern der Produktionsmittel. Auch ihnen bleibt nicht mehr bei gleich langer und gleich angestrengter Arbeit. Das ist schon so wie ausgerechnet in diesem schönen Lande, daß Keiner mehr verdient, als er für „Adepln“, Suppe und „Koffe“ braucht...

*

In der „Schanknahrung“. Trotz ihrer wenig erfreulichen Lage haben sich die Glasdrücker ein gut Stück urwüchsigen Volkshumors aus den besseren Zeiten herübergerettet, und setzt man sich einmal mit ihnen zusammen, so möchte man am liebsten einen Phonographen neben sich haben, der alle die lustigen Einfälle und Geschichten, die sie zum Besten geben, festhält. Sie erzählen gerne von ihrer politischen Tätigkeit. Sie Alle sind überzeugte und opferwillige Sozialdemokraten zum aufrichtigen Schmerz einiger Großköpfe, die die Arbeiterschaft lieber vom nationalen Dusel befangen sehen möchten. In einem der Ort führt auch ein Christlich-Sozialer von Warnsdorfer Kouleur ein eingezogenes Dasein, von dem man überhaupt nichts erfahren würde, wenn er als Besitzer einer Druckhütte nicht länger arbeiten würde als alle übrigen. Wenn Alles schon Feierabend hat, aus der Hütte des Christlich-Sozialen steigen noch Rauchwölkchen auf. Sein roher Erwerbssinn denkt nur auf das Heute. Daß er durch Überarbeit auch der Industrie Schaden bringt, bedenkt er nicht.

Politisch haben aber weder die Nationalen, noch der Christlich-Soziale viel zu reden. Öffentliche Wortführer sind die Sozialdemokraten.

Im „Demokratendörfl“ Bistei machen wir in einer „Schanknahrung“, so heißt es auf dem Wirtshausschild, Rast.

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Bald sind einige Genossen um den Tisch, und bald geht es auch ans Erzählen. Sie geben Versammlungserlebnisse zum Besten.

In einer Bauernversammlung hatte der Referent über die Reichtümer der katholischen Kirche in Böhmen gesprochen und war eben daran, den Bauern zu erzählen, wie der Papst wohnt, als ihn die vom Ortsgemeinderat entsendete Regierungsautorität unterbrach. Der Herr „Regierungsvertreter“, früher Bauer, jetzt Gewerbetreibender, behauptete, daß dies der Referent nicht sagen dürfe. Der Referent wollte den „Regierungsvertreter“ belehren, daß er sein Amt falsch auffasse und daher nicht unter allen Umständen unterbrechen müsse, sondern nur dann, wenn etwas Gesetzwidriges vorgebracht werde, als ihm ein altes Bäuerlein, das der Versammlung anwohnte, zuvorkam. Der alte Bauer stand auf, schritt auf den „Regierungsvertreter“ zu, stieß ihm mit der Faust an die Schulter und sage ihm wohlmeinend derb: „Hielt die Gousche, dar Karl hot Reecht.“ Nun erst konnte der Referent unbehelligt weitersprechen.

Ein anderesmal hatte ein Referent die Aufgabe, die armen Bauern Sonntag Vormittags „aufzuhetzen“. Dies mißfiel natürlich dem Ortspfarrer, und der tat, wie es andere tun, er sandte die Armee der alten Weiber beiderlei Geschlechts gegen die Sozialisten aus. Diese kamen aber doch, trotzdem die alten Weiber gedroht hatten: „Wer werd’n dötte Sozialisten mit’s Basen ausjagen.“ Die Versammlung war für 9 Uhr einberufen, aber erst um 10 Uhr begann sich das Lokal zu füllen – mit Gegendemonstranten. Die Bauern kamen direkt aus der Kirche, und jeder trug offen ein Gebetbuch zur Schau. Der Referent sollte sofort sehen, daß hier seiner Liebe Müh’ verloren ist. Der Referent ließ sich aber nicht irre machen und sprach und sprach, und je länger er sprach, desto mehr Gebetbücher verschwanden in den Taschen der Bauern. Sie schämten sich ihrer Demonstration. Am Schluß der Versammlung erklärten die Bauern aber treuherzig: „Ei’ nächst’smal komm’ m’r glei ei dö Versammlung. Wenn m’r gewußt hätt’n, daß’s so scheene war, wär’n m’r glei gekomm’n.“